Ein vorbildlicher Dienst

(Apostelgeschichte 20,19-27)

Der Apostel Paulus war von Gott inspiriert, als er inmitten der Ältesten von Ephesus, die um ihn geschart waren, einen Rückblick auf seinen Dienst hielt. Es war ein Überblick über den vorbildlichen Dienst, den er als freier Mann ausgeübt hatte – frei in dem Sinn, dass er sich frei bewegen konnte, wie der Herr ihn führte. Er wusste sehr gut, dass die Zeit seines freien Dienstes bald zu Ende gehen würde.

Sein Dienst war nicht vollkommen, denn nur der Herr Jesus übte einen vollkommenen Dienst aus. Aber es war ein vorbildlicher Dienst, denn er war ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir, und nur in der Kraft der Gnade und mit Unterstützung des Geistes Gottes hatte er tun können, was er tat.

Jedes Wort in diesem bemerkenswerten Überblick des Apostels ist voller Bedeutung. Ich möchte nur die Verse mit euch durchgehen, die uns den Geist zeigen, in dem der Apostel diente, und dann die Verse, die uns den Inhalt seines Dienstes zeigen.

Der Geist des Dienstes

Zuerst also der Geist seines Dienstes. „Ihr wisst, wie ich vom ersten Tag an, als ich nach Asien kam, die ganze Zeit bei euch gewesen bin“ (V. 18). Das Erste, was ihn kennzeichnete, war die außerordentliche Beständigkeit. Er konnte gleichsam sagen: „Genauso, wie ihr mich von der ersten Minute an gesehen habt, war ich die ganze Zeit hindurch.“ Ach, wie sehr müssen wir modernen Menschen uns demgegenüber schämen! Wie schwankend sind wir doch oft in unserem Bemühen, mal eifrig und entschieden, mal bitter und verstimmt! Bei Paulus war das nicht so. Was er war, war er überall und immer. Es war keine oberflächliche Fassade. Was er war, war er durch und durch.

Dann sagt er: „dem Herrn dienend”, nicht etwa „den Gläubigen dienend“. Der Herr stand vor ihm, nicht der Dienst an der Menschheit. Wenn wir unseren Dienst an diesem Vorbild ausrichten, bleibt der Herr der einzige Gegenstand unseres Dienstes, und wir dienen „mit aller Demut“ – nicht bloß im äußeren Verhalten, sondern in unserer Gesinnung.

Das große Kennzeichen dieses vorbildlichen Dieners war eine demütige Gesinnung. Er kam nicht mit großem Gepränge und lautstarken Kundgebungen zum Volk Gottes. Er trieb keine Werbung für sich selbst, um jeden davon zu überzeugen, was für ein Mann er war. Er verhielt sich unauffällig, war still und machte nichts aus sich selbst.

Des Weiteren diente er „mit Tränen”. Diese Tränen waren der Ausdruck tiefster und aufrichtiger Mühe und Übung der Seele, und es wäre gut, wenn heute mehr von diesem Geist vorhanden wäre. „Dem Herrn dienend mit aller Demut und mit Tränen und Versuchungen, die mir durch die Anschläge der Juden widerfuhren“ (V. 19). Ein vorbildlicher Dienst bedeutet nicht, dass es einer ist, der von Erfolg zu Erfolg geht und ein ständiger Siegeszug ist. Es gab jede Art von Erprobungen, Versuchungen und Hindernissen. Er war „niedergeworfen“, „aber nicht umkommend“ (2. Kor 4,9), denn der Herr stand ihm bei. Wir dürfen uns von den angenehmen Umständen, in denen wir leben, nicht verleiten lassen, zu meinen, christlicher Dienst wäre eine Art Siegeszug mit großen Zusammenkünften und begeistertem Zulauf. Der vorbildliche Diener – dieser Knecht Christi – traf ständig auf scheinbar riesenhafte Hindernisse. Er erlebte jede Art von Erprobungen und Versuchungen, und gerade diese Erprobungen bewiesen, wie es geistlich um ihn bestellt war. Wenn man von jemand hört, der dient und in zahllose Schwierigkeiten gerät, muss man nicht gleich den Kopf schütteln und denken, er tauge nichts. Er kann außerordentlich tauglich sein.

Dann sagt er: „Indem ich sowohl Juden als Griechen die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus bezeugte“ (V. 21). Der Jude würde sich über diese Botschaft sehr ärgern. Er würde sagen, es sei ihm klar, dass die Griechen zur Buße aufgefordert werden müssen; aber dem Volk Gottes zu erzählen, dass sie Buße tun sollen, war sehr anstößig. Doch Paulus bezeugte die Wahrheit Gottes ruhig und unbeirrt in beide Richtungen.

„Und nun …“, muss er hinzufügen, „dass der Heilige Geist mir von Stadt zu Stadt bezeugt und sagt, dass Fesseln und Bedrängnisse mich erwarten“ (V. 23). Es gab noch mehr Schwierigkeiten für den vorbildlichen Diener, doch er sagt: „Ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben als teuer für mich selbst.“ Er war ein Mann von außerordentlicher Festigkeit und Glaubenskraft, ein Mann, der bereit war, sein Leben für den Namen und den Dienst des Herrn hinzugeben. Davon kennen wir nur sehr wenig. Die Brüder in Jerusalem sagten nach Apostelgeschichte 15 über Barnabas und Paulus und ihre Begleiter: „Männer, die ihr Leben hingegeben haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus.“ Das war nicht nur ein Wagnis, nicht nur eine von mehreren Möglichkeiten. Das war eine unausweichliche Folge. Sie waren Männer, die tatsächlich in die Bresche springen und ihr Leben verlieren würden; das wird in diesen Worten vorweggenommen. In diesem Geist spricht der Apostel hier. Er nahm keine Rücksicht auf sein Leben als teuer für sich selbst, um seinen Lauf zu vollenden und den Dienst, den er vom Herrn Jesus empfangen hatte.

Wenn wir auf das Leben dieses vorbildlichen Dieners zurückblicken, können wir wirklich sagen: „Kein Wunder, dass das Werk Gottes in seiner Hand gedieh. Kein Wunder, dass er sagen konnte, dass er ‚von Jerusalem an und ringsumher bis nach Illyrien das Evangelium des Christus völlig verkündigt hatte‘!“ (Röm 15,19).

Der Inhalt des Dienstes

Und worüber sprach er? Wir wollen ein paar Augenblicke darauf eingehen. Er bezeugte „das Evangelium der Gnade Gottes”. Zuallererst das Evangelium, und zwar das Evangelium der Gnade Gottes. Darüber haben wir alle schon viel Nützliches gehört, und daher wollen wir jetzt nicht näher darauf eingehen.

Er fährt fort: „Ihr alle, unter denen ich, das Reich [Gottes] predigend, umhergegangen bin, werdet mein Angesicht nicht mehr sehen“ (V. 25). Bemerken wir den kleineren Kreis? Hier geht es um etwas, was unter solchen gepredigt wird, die bekehrt sind. Der Apostel ging unter denen umher, die das Evangelium der Gnade Gottes geglaubt hatten und die wirklich bekehrt waren, und ihnen predigte er das Reich Gottes. Jetzt fragt vielleicht jemand: „Was bedeutet das genau?“ Es bedeutet nicht, dass Paulus umherging und das Tausendjährige Reich predigte oder prophetische Ansprachen hielt, in denen er über den Tag sprach, der kommen wird, wenn die Erde voll der Erkenntnis des Herrn sein wird, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken. Es bedeutet, dass er, wo immer er sich unter dem Volk Gottes aufhielt, freundlich, sanft und liebevoll die göttliche Autorität auf das Gewissen der Gläubigen legte. Er sagte gleichsam: „Ihr habt dem Evangelium geglaubt. Ihr gehört nun zum Volk Gottes. Als solche seid ihr Christus und dem Wort Gottes unterworfen. Ihr seid in das Reich Gottes versetzt, damit Gottes Autorität, wie sie im Wort Gottes zu finden ist, in eurem Herzen und Leben herrsche.“ Er entfaltet das Evangelium im Brief an die Römer, aber er endet nicht, ohne uns Römer 12 bis 15 gegeben zu haben, Kapitel, die oft als bekannt vorausgesetzt und daher übersprungen werden, statt dass sie sorgfältig gelesen und befolgt werden.

Wir sind unter göttliche Autorität gebracht. Aber hat das Wort Gottes auch wirklich absolute Befehlsgewalt über mein Herz und Leben? Das bedeutet „Reich Gottes“, und Paulus predigte dieses Reich Gottes überall, wohin er kam. Möge Gott uns Gnade geben, den Gedanken an das Reich Gottes nicht zu vernachlässigen!

Beachten wir, dass er in Vers 24 davon spricht, dass er das „Evangelium der Gnade Gottes“ predigte, in Vers 25 das „Reich Gottes“, und in Vers 27 sagt er: „Ich habe nicht zurückgehalten, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen.“ Er sagt gleichsam: „Ihr habt jede Segnung. Das Evangelium hat euch an diesen bevorzugten Platz der Nähe und Beziehung gebracht. Die Autorität Gottes ist in euren Herzen aufgerichtet. Ihr steht unter der Herrschaft Gottes. Ihr gehorcht seinem Wort. Beachtet jedoch, dass Gott bei allem, was Er getan hat, einen bestimmten großen Ratschluss und Vorsatz im Sinn hatte.” – Diesen Vorsatz hat Er uns bekannt gemacht. Seine endgültige Erfüllung steht zwar noch aus, aber wir sollen unser ganzes irdisches Leben nach dem ausrichten, was Gott sich vor Grundlegung der Welt vorgesetzt hat.

Haben wir uns schon gefragt, warum der Apostel hier sagt: „Ich habe nicht zurückgehalten, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen“? Man könnte meinen, dass darin ein gewisses Zögern zum Ausdruck kommt. Paulus hätte uns vielleicht gesagt: „Ja, es gibt tatsächlich nichts, was mich mehr in Schwierigkeiten bringt, als die Verkündigung des ganzen Ratschlusses Gottes.“ Schließlich war es ja gerade diese treue Verkündigung des
Ratschlusses Gottes in Bezug auf die Einführung der Nationen in die Stellung und die Vorrechte der Versammlung, die ihm die wütende Feindschaft der Juden einbrachte und zu seiner Gefangennahme führte.

Andererseits gibt es aber auch nichts, was so hohe Ansprüche an Herz und Gewissen des Volkes Gottes stellt, wie das Verständnis über den Ratschluss Gottes. Man kann unmöglich mit aufrichtigem Herzen und Gewissen ein Verständnis über diese wunderbaren Gedanken haben, die Gott sich für Sein Volk vorgesetzt hat, ohne die Verantwortung zu spüren, in dieser Welt in Übereinstimmung mit den Grundsätzen einer ihr fremden, anderen Welt zu leben. Wir können unmöglich diese wunderbaren Offenbarungen in unseren Herzen hegen, ohne unruhig zu werden, wenn unser Leben dem widerspricht. Die Wahrheit bringt uns immer unter die Verantwortung, in dieser Welt unseren Weg als Menschen zu gehen, die eine himmlische Hoffnung und Bestimmung haben.

Möge Gott uns helfen, diese Zusammenhänge im Blick zu behalten. Wir brauchen das Evangelium. Wir brauchen die Wahrheit vom Reich Gottes, und wir brauchen auch den Ratschluss Gottes. Die Botschaft vom Heil in Christus macht uns froh und glücklich und belebt uns. Aber wenn es um unsere Lebenspraxis geht, empfinden wir, dass die Wahrheit Ansprüche stellt. Sie spricht unser Gewissen an, und letztlich ist es das, was wir brauchen: Etwas vom Wort Gottes, das unser Gewissen erreicht und unser Leben Gott gemäß beeinflusst.

F. B. Hole

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2010, Heft 7, Seite 196

Bibelstellen: Apg 20, 19-27