Die Münze im Maul eines Fisches

(Matthäus 17,24-27)

Der Herr Jesus war mit Seinen Jüngern viel in Palästina unterwegs. Auf Seinen Reisen hatte Er keine bestimmte Unterkunft; darum sagt Er selbst: „Der Sohn des Menschen hat nicht, wo Er das Haupt hinlege.“ Doch in Kapernaum, „seiner eigenen Stadt“, hatte Er wenigstens eine Zeit lang eine feste Bleibe (Mt 4,13; 9,1). Der Apostel Petrus wohnte ebenfalls dort (vgl. Mk 1,21.29). Es ist daher verständlich, dass Simon Petrus gerade in dieser Stadt gefragt wurde, ob der große Lehrer „die Doppeldrachme“ (das heißt die Tempelsteuer) bezahle. Obwohl der Sohn Gottes nicht verpflichtet war, einen Beitrag für den Tempel Gottes zu leisten, tat Er es in Gnade dennoch, um keinen Anstoß zu erregen.

Die Tempelsteuer

Alle israelitischen Männer ab dem zwanzigsten Lebensjahr hatten für den Tempel in Jerusalem jährlich eine Doppeldrachme zu entrichten. Diese griechische Silbermünze entsprach im Wert ungefähr zwei römischen Denaren, was uns hilft, die Höhe der Steuer abzuschätzen, denn ein Denar war der Tagesverdienst eines Tagelöhners (Mt 20,2). Die Doppeldrachme deckte sich in ihrem Wert auch mit einem halben Sekel, was uns zur Entstehung der Abgabe führt. Denn in 2. Mose 30,11-16 ist von einem halben Sekel die Rede, den jeder Israelit, der in der Wüste gemustert wurde, als Sühngeld zahlen musste. Die Einnahmen wurden für den Bau des Zeltes der Zusammenkunft verwendet. Aus dieser einmaligen Abgabe entwickelte sich eine regelmäßige Tempelsteuer (vgl. 2. Chr 24,9). Nach der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft wurde zunächst nur ein drittel Sekel erhoben (Neh 10,33), später war es wieder ein halber Sekel. Die Steuer soll umstritten gewesen und nicht von allen entrichtet worden sein. Die Zahlungsunwilligen mussten auch nicht mit einer Strafe rechnen. Das mag erklären, warum die Steuereintreiber die Abgabe nicht direkt einforderten, sondern Petrus vorsichtig eine Frage stellten.

Obwohl Petrus offensichtlich die Tempelsteuer auch nicht bezahlt hatte, wurde er nur gefragt, ob der Lehrer die Abgabe entrichte. Das schien den Tempeldienern zweifelhaft zu sein, denn Jesus war es, der im Tempel in eigener Autorität für Ordnung gesorgt und gesagt hatte, dass Er mehr als der Tempel sei (Joh 2,14-22; Mt 12,6). Würde so jemand für den Tempel zahlen? Mit dieser Frage wollten sie offenbar keine Falle stellen, wie es einige versuchten, als es um die Steuer für den Kaiser ging (Mt 22,15-22).

Die Antwort von Petrus

Petrus bestätigte, ohne nachzudenken oder nachzufragen, dass der Lehrer die Steuer gewiss bezahle. Simon wollte mit seiner gut gemeinten Antwort Schwierigkeiten von seinem Meister fernhalten, aber durch sein vorschnelles Reden zog er in Wahrheit den Herrn auf den Boden eines gewöhnlichen Israeliten herab.

Kurz vorher hatte er etwas Ähnliches getan, als er auf dem sogenannten Berg der Verklärung sagte: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine“ (Mt 17,4). Während Petrus noch redete, bezeugte der Vater aus einer lichten Wolke, dass Jesus sein geliebter Sohn sei, an dem Er Wohlgefallen gefunden habe.

Genau das hatte Petrus auf dem Berg und auch jetzt im Tal nicht vor Augen gehabt. Das ist umso erstaunlicher, wenn wir bedenken, dass er nicht lange vorher den Herrn Jesus als den Sohn des lebendigen Gottes bezeugt hatte (Mt 16,16).

Kann das nicht auch uns passieren? Wir legen ein gutes und richtiges Bekenntnis ab, sind dann aber im Alltagsleben nicht fähig, unser Reden und Tun in Übereinstimmung mit unseren Worten zu halten. Durch die Belehrung des Herrn und durch das Wunder, an dem Petrus beteiligt werden sollte, wurde dem Jünger erneut die wichtige Wahrheit vor Augen geführt, dass er es mit dem Sohn Gottes zu tun hatte.

Das Gleichnis des Herrn

Simon Petrus, der schnell geantwortet hatte, war sich seiner Sache jedoch nicht sicher und wollte den Herrn fragen. Doch bevor er dazu kam, stellte der Herr Jesus ihm eine Frage in Form eines Gleichnisses: „Was meinst du, Simon? Von wem erheben die Könige der Erde Zoll oder Steuer, von ihren Söhnen oder von den Fremden?“ Die Antwort liegt auf der Hand. Ein König holt sich das für seine Regierung benötigte Geld bei seinem Volk und nicht bei seiner Familie. Petrus antwortete korrekt und sagte: „Von den Fremden.“ Daraufhin ergänzte der Herr, weil das für seine Unterweisung wichtig war: „Demnach sind die Söhne frei.“

Der König ist ein Bild von Gott, dessen Haus der Tempel ist. Der Sohn Gottes, Jesus Christus, muss darum frei von jeglicher Abgabe für dieses Haus sein.

Viele Söhne

Aber der Herr spricht bei Seinem Vergleich von Söhnen und nicht von einem Sohn. Das lässt erkennen, dass Er auch Petrus – und alle, die schon damals Ihm angehörten (vgl. Joh 15,3) – in die Freiheit von der Tempelsteuer einschließt. Und er sagt auch, dass Er und Petrus keinen Anstoß erregen wollten und dass die Steuer mit einer Münze für Ihn und Seinen Jünger bezahlt werden sollte.

Während Petrus mit seiner vorschnellen Antwort Christus ungewollt auf die Ebene eines gewöhnlichen Israeliten herabzog, sprach der Herr in bewundernswerter Gnade von der erhabenen Stellung von Petrus, der zu den „Söhnen“ gehörte!

Christus ist der ewige Sohn Gottes und in dieser Herrlichkeit einzigartig. Insofern ist Er auch immer frei gewesen. Die, die zum Glauben kommen, werden hingegen in eine Beziehung zu Gott als Söhne eingeführt und durch Christus frei gemacht (vgl. Joh 8,35.36).

Petrus war damit vertraut, dass Gläubige als Söhne Gottes bezeichnet werden (Mt 5,9.45). Doch erst nach dem vollbrachten Erlösungswerk Christi und dem Herabkommen des Geistes Gottes wurde er in den vollen Segen der Sohnschaft eingeführt. Wir Christen genießen heute diese Beziehung und rufen im Heiligen Geist „Abba, Vater!“ (Gal 4,6).

Die Themen „Sohnschaft“ und „Freiheit“ werden im Galaterbrief ausführlich behandelt. Der Apostel Paulus zeigt, dass Christen keine Knechte, sondern Söhne sind (Gal 4,6.7). Wir sind zur Freiheit berufen und begeben uns deshalb nicht unter das Joch des Gesetzes (Gal 5,1.2). An die herrliche Freiheit der Söhne Gottes werden wir erinnert, wenn wir die Worte des Herrn lesen: „Demnach sind die Söhne frei.“

Keinen Anstoß geben

Der Herr wusste, dass Er verworfen werden würde; Er hatte kurz vorher noch davon gesprochen (Mt 17,22.23). Trotzdem tat Er alles, um keinen Anstoß zu geben. „Anstoß geben“ bedeutet, jemand ein Hindernis in den Weg zu legen, worüber er strauchelt und damit Schaden nimmt. Wenn der Herr Jesus die Tempelsteuer nicht bezahlt hätte, würde das sicher Sein Vorbild als vollkommener Israelit in den Augen der Menschen beeinträchtigt haben.

Der Herr Jesus war frei von der Tempelsteuer, aber Er machte von Seiner Freiheit keinen Gebrauch. Ein Recht zu haben und ein Recht in Anspruch zu nehmen, sind zweierlei. So hatten Paulus und seine Mitarbeiter als Verkündiger des Evangeliums das Recht, materielle Unterstützung von den Gläubigen zu empfangen. Aber was schreibt Paulus den Korinthern? „Wir haben von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, sondern wir ertragen alles, um dem Evangelium des Christus kein Hindernis zu bereiten“ (1. Kor 9,12). In Römer 14,14 zeigt der Apostel Paulus, dass er als Christ frei von Speisevorschriften und Überlieferungen der Juden war und deshalb auch Fleisch essen konnte. Doch er war bereit, auf Fleisch zu verzichten, wenn ein Bruder damit ein Gewissensproblem hatte (Röm 14,21;
1. Kor 8,13).

Der Münzfang

Der Herr forderte Petrus auf, eine Angel auszuwerfen. Das hatte der Fischer Petrus schon oft getan, nun aber sollte er es zum ersten Mal tun, um Geld zu finden. Alles würde ganz schnell gehen: Petrus musste nur einen Fisch fangen und ihm die benötigte Münze aus dem Maul nehmen. Der Fisch würde die Münze nicht einmal verschluckt haben.

Und so geschah es, denn Petrus vertraute seinem Herrn. Einige Zeit vorher hatte er auf das Wort des Herrn hin Fischernetze ausgeworfen, obwohl ein Fang nach menschlichem Ermessen unmöglich erschien (Lk 5,4-7). Damals war er nicht enttäuscht worden und wird es auch dieses Mal nicht gewesen sein.

Dass der Herr sich ein Geldstück bringen ließ – wie Er es auch später noch einmal getan hat (Mt 22,19) – erinnert uns daran, dass Er um unsertwillen arm wurde (2. Kor 8,9). Doch warum wirkte Er ein Wunder, um die Silbermünze zu erhalten; gab es denn keine andere Möglichkeit? Wird in der Kasse, die Judas trug, nicht genug Geld gewesen sein? Wir wissen es nicht, aber bedenken wir: Nur durch ein Wunder konnte die Herrlichkeit des allwissenden und allmächtigen Sohnes Gottes hervortreten, der – wenn Er auch die Tempelsteuer wie andere bezahlte – eben nicht irgendein Israelit war.

Als Christus sich von Johannes dem Täufer taufen ließ, um sich mit dem bußfertigen Überrest Israels einszumachen, indem Er alles erfüllte, was vor Gott recht war (Mt 3,15), da fuhr der Geist Gottes wie eine Taube auf Ihn herab, und eine Stimme erging aus dem Himmel, die sprach: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Gerade dort, wo der Herr wie andere Israeliten handelte, wurde ein Zeugnis von Seiner Herrlichkeit als Sohn Gottes abgelegt! Sehen wir nicht etwas Vergleichbares, als Er die Tempelsteuer durch ein göttliches Wunder bezahlen ließ?

Die Bezahlung der Steuer

Es ist beachtlich, was für ein Geldstück Petrus im Maul des Fisches fand: einen Stater. Dieses Geldstück hatte den Wert von zwei Doppeldrachmen und reichte damit exakt für den Herrn und für Petrus. Dass es nur ein Geldstück war, kann sicher als Hinweis darauf verstanden werden, wie sehr der Herr sich mit seinem geliebten Jünger Petrus verband. Diese Verbindung zwischen dem Herrn und den Seinen wird an vielen Stellen der Schrift bezeugt. Ein Beispiel ist auch das, was durch den Geist von Christus in Jesaja 50,8.9 gesagt wird: „Nahe ist, der mich rechtfertigt: Wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen hintreten! Wer hat eine Rechtssache gegen mich? Er trete her zu mir! Siehe, der Herr, Herr, wird mir helfen: Wer ist es, der mich für schuldig erklären könnte?“ Die Stelle wird in Römer 8,33.34 auf die Kinder Gottes bezogen. Das, was für Ihn gilt, gilt auch für uns!

Und doch nimmt Christus immer eine Vorrangstellung und einen besonderen Platz ein. Dementsprechend nennt der Herr Jesus sich an erster und Petrus an zweiter Stelle und sagt auch nicht „Gib ihn [den Stater] für uns“, sondern „für mich und dich“. Etwas Ähnliches sehen wir in den Worten des Herrn in Johannes 20,17: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater [nicht,unserem‘ Vater] und meinem Gott und eurem Gott [nicht,unserem‘ Gott].“

Seine Überlegenheit ist ferner darin zu sehen, dass Er es ist, der bezahlt. Er sorgt für Petrus und nicht umgekehrt. Von Gott sagt Petrus später: „Er ist besorgt für euch“ (1. Pet 5,7). Der Herr verfügt auch heute über Hilfsquellen Gottes, die wir nicht kennen und nicht sehen, um uns das zu geben, was wir aktuell brauchen. Halten wir daran fest!

Zusammenfassung

Diese Begebenheit zeigt uns die Gnade des Herrn: Er, der als Sohn Gottes nicht verpflichtet war, die Steuer für das Haus Gottes zu zahlen, tat es trotzdem, um niemand Anstoß zu geben. Wir sehen in diesen Versen ebenso Seine Macht, denn Er regelte durch ein erstaunliches Wunder die Abgabe der Steuer. Ist es nicht beeindruckend, den Schöpfer des Himmels und der Erde zu sehen, wie Er in Gnade auf die religiösen Empfindungen der Menschen Rücksicht nimmt und alles vermeidet, was für sie ein Hindernis sein könnte, die Botschaft Gottes anzunehmen?

G. Setzer

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2011, Heft 7, Seite 205

Bibelstellen: Mt 17, 24-27

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