Auf dem Platz vor dem Wassertor
Nehemia 8
Das achte Kapitel des Buches Nehemia ist ein sehr schönes und ermunterndes Kapitel. In drei Rückführungen waren Juden aus der Gefangenschaft von Babel zurückgekehrt und hatten zunächst den Altar, den Tempel und die Stadtmauer Jerusalems wieder aufgebaut. Hier nun dürfen wir miterleben, wie der Autorität des Wortes Gottes wieder der Platz gegeben wird, der ihr zukommt. Dieses Wort Gottes, „das Buch des Gesetzes“, ist das große Thema in Nehemia 8.
Bemerkenswert ist die Haltung der zurückgekehrten Juden dem Wort Gottes gegenüber. In den einzelnen Abschnitten des Textes treten jeweils verschiedene Merkmale dieser Haltung hervor, aus deren Betrachtung auch wir Nutzen ziehen können.
Verlangen nach dem Wort Gottes (V. 1-4)
Die ersten Verse beschreiben eine beeindruckende Szene. Der Überrest der Juden, den Gott nach wie vor als das „ganze Volk“ ansah, versammelte sich wie „ein Mann auf dem Platz, der vor dem Wassertor liegt“. Das taten sie, weil sie aus dem Buch des Gesetzes Moses hören wollten. Niemand hatte sie dazu aufgefordert. Sie kamen von sich aus. Erst kurz vorher, am fünfundzwanzigsten des Monats Elul (das war der sechste Monat im jüdischen Kalender) war die Mauer fertiggestellt worden (Neh 6,15). Jetzt kamen sie zu Beginn des siebten Monats aus ihren Städten nach Jerusalem zusammen. Es stand ja in diesem Monat das Laubhüttenfest als absoluter Höhepunkt der Feste bevor, die Gott ihnen verordnet hatte. Offenbar war ihnen in den wenigen Tagen seither die überragende Bedeutung des Wortes Gottes bewusst geworden. Dabei ist es schön zu sehen, wie ihr Verlangen sich allein auf das Buch des Gesetzes richtete. Sie kamen nicht, um Nehemia oder Esra zu hören, obwohl sie sicher diese Diener Gottes in der rechten Weise schätzten. Sie baten Esra, „dass er das Buch des Gesetzes Moses bringen sollte“ (V. 1) – darum ging es ihnen. Auch Vers 3 macht das deutlich, wo es heißt: „Die Ohren des ganzen Volkes waren auf das Buch des Gesetzes gerichtet.“
Wie passend war dabei der Ort ihres Treffens! Die Bezeichnung Wassertor weist bildlich hin auf das Wort Gottes in seiner reinigenden und belebenden Wirkung (Eph 5,26). Ein Tor als Ort der Rechtsprechung lässt uns auch an die Autorität des Wortes Gottes denken. Konnte es daher einen besseren Platz für das nach dem Wort Gottes verlangende Volk geben als den Platz vor dem Wassertor? Das Verlangen des Volkes wurde nicht enttäuscht. Auch heute wird Gott solche, die einmütig vor Ihm versammelt sind, um Sein Wort zu hören, nicht enttäuschen. Es erregt Sein Wohlgefallen, wenn Er auch in unseren Herzen ein solches Verlangen nach Seinem Wort sieht. Er wird es immer stillen.
Ehrfurcht vor dem Wort Gottes (V. 5-8)
Ein zweites Kennzeichen des Volkes war ihre Ehrfurcht vor dem Wort Gottes. Als Esra das Buch öffnete, „stand das ganze Volk auf“ (V. 5). Und als sie auf den Lobpreis Esras antworteten, hoben sie ihre Hände empor, verneigten sich und „warfen sich vor dem Herrn nieder, mit dem Gesicht zur Erde“ (V. 6). Es muss ein beeindruckendes Bild gewesen sein, diese große Volksmenge so vor Esra mit dem geöffneten Buch zu sehen. Durch ihre äußere Haltung brachten sie ihre Ehrfurcht und Achtung vor ihrem Gott und seinem Wort zum Ausdruck.
Wir müssen uns heute nicht mit dem Gesicht zur Erde werfen, wenn wir das Wort Gottes lesen oder hören. Aber auch wir wollen die Bibel immer in einer Haltung der inneren und äußeren Ehrfurcht zur Hand nehmen, im Gedanken daran, dass es Gottes Wort ist und dass Er selbst dadurch zu uns redet.
Die Wirkungen des Wortes Gottes (V. 9-12)
Das versammelte Volk machte die Erfahrung, dass Gottes Wort eine Wirkung hat. Das ist bis heute so. „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam“, heißt es in Hebräer 4,12. Und der Apostel Paulus konnte von den Thessalonichern sagen: „Und darum danken auch wir Gott unablässig dafür, dass ihr, als ihr von uns das Wort der Kunde Gottes empfingt, es nicht als Menschenwort aufnahmt, sondern … als Gottes Wort, das auch in euch, den Glaubenden, wirkt“ (1. Thes 2,13). In Nehemia 8 lesen wir von einer zweifachen Wirkung des Wortes: Es bewirkte auf der einen Seite Trauer und Demütigung (V. 9) und auf der anderen Seite Freude und Stärkung (V. 10-12). Betrübnis und Freude, Ermahnung und Trost, Demütigung und Stärkung im Glauben – das sind Wirkungen des Wortes Gottes, die auch wir brauchen und für die wir offen sein wollen.
Das Gewissen des Volkes wurde durch das Lesen des Gesetzes angesprochen. Es wurde deutlich, wie schuldig sie und ihre Väter geworden waren, indem sie nicht auf Gottes Wort gehört, sondern sich davon abgewandt hatten. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt für Trauer gekommen. Das Laubhüttenfest stand vor der Tür, wo das Volk sich freuen und fröhlich sein sollte (5. Mo 16,13-15). Daher richteten Nehemia, Esra und die Leviten den Blick des Volkes auf den Herrn selbst und erinnerten daran, dass „die Freude an dem Herrn“ ihre Stärke war (V. 10). Dieser Blick auf den Herrn ist auch für uns so wichtig. Dadurch bekommen wir Kraft, Schwierigkeiten zu begegnen, und finden eine unerschöpfliche Quelle von Freude. Paulus hat das in schweren Umständen auch erfahren und konnte den Philippern sagen: „Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch!“ (Phil 4,4).
Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes (V. 13-18)
Aus dem Buch des Gesetzes Gottes war deutlich vorgelesen worden und man hatte den Sinn angegeben, so dass das Gelesene auch verstanden werden konnte (V. 8). Damals mochte die zurückliegende Gefangenschaft in einer fremdsprachigen Umgebung das noch besonders nötig machen. Doch sind es auch heute noch ebenso wichtige Punkte für die Verkündigung des Wortes, wenn es um das inhaltliche Verständnis geht. Die Belehrungen in 1. Korinther 14 unterstreichen das. Dadurch werden die Herzen der Zuhörer für die Wirkungen des Wortes Gottes geöffnet. So war es auch bei dem Volk. Sie hatten die Worte, die man ihnen kundgetan hatte, wirklich verstanden (V. 12).
In den folgenden Versen wird deutlich, dass das Wort auch eine praktische Auswirkung in ihrem Leben hervorrief. Die Führer des Volkes, die sich auch am zweiten Tag versammelten, um „aufmerksam auf die Worte des Gesetzes zu hören“ (V. 13), erkannten, dass der Zeitpunkt gekommen war, wo sie nach den Anordnungen Gottes in 3. Mose 23 das Laubhüttenfest feiern sollten. Das war für sie eine Herausforderung zum Gehorsam – und sie nahmen sie an. Es war mit Mühe und Unbequemlichkeit verbunden, ihre neu gebauten Häuser zu verlassen, sich Hütten zu bauen und eine Woche lang darin zu wohnen. Und angesichts dessen, dass das Fest seit den Tagen Josuas nicht mehr ganz vorschriftsmäßig gefeiert worden war (V. 17), hätten sie sicherlich manche Ausrede finden können, es auch jetzt nicht so genau zu nehmen. Doch nichts dergleichen lesen wir. Sie gehorchten den Anordnungen Gottes und ließen einen entsprechenden Aufruf an das Volk ergehen (V. 15), dem das Volk unmittelbar Folge leistete (V. 16.17). Wie wird dieser Gehorsam des Volkes Gott erfreut haben! Aber auch das Volk erlebte, dass Gehorsam froh und glücklich macht: „Und es war eine sehr große Freude“ (V. 17).
Diese Erfahrung darf auch heute jeder machen, der bereit ist, dem Wort Gottes konsequent zu gehorchen. Und vor allem wird Gott erfreut, wenn Er auch bei uns eine solche Haltung seinem Wort gegenüber findet.
S. Ulrich
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