Daniel im Gebet

Daniel war ein Mann des Gebets. Als junger Mann sehen wir ihn, wie er im Gebet vor seinem Gott ist und Ihn bittet und lobt (Dan 2,17-23). In Kapitel 9 – dort ist er bereits ein alter Mann – wird uns sein bemerkenswertes Gebet der Demütigung im Wortlaut mitgeteilt. Auch in Kapitel 6 finden wir ihn – ebenfalls bereits im fortgeschrittenen Alter – im Gebet. Im Gegensatz zu Kapitel 2 und 9 wird uns in dieser Situation nicht konkret mitgeteilt, was er gebetet hat. Dafür liegt der Schwerpunkt darauf, wie er gebetet hat. Hintergrund der biblischen Aussage ist der Befehl des Königs Darius, dass man für eine bestimmte Zeit nur von ihm etwas erbitten durfte. Zuwiderhandlungen würden mit der Löwengrube bestraft werden.

Der Bibeltext über das Gebet Daniels lautet:

„Und als Daniel erfuhr, dass die Schrift aufgezeichnet war, ging er in sein Haus. Und er hatte in seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem hin; und dreimal am Tag kniete er auf seine Knie und betete und lobpries vor seinem Gott, wie er vorher getan hatte. Da liefen jene Männer eilig herbei und fanden Daniel betend und flehend vor seinem Gott“ (Dan 6,11-12).

In seiner Gebetshaltung ist Daniel ein Vorbild für uns. Die Bosheit der Menschen, die ihn verklagt hatten und das tödliche Gebot des Königs sowie die drohende Löwengrube änderten nichts an seiner guten Gewohnheit zu beten. Daniels enge Beziehung von Gemeinschaft und Abhängigkeit zu Gott wurde durch die entstandene lebensbedrohliche Situation in keiner Weise beeinträchtigt. Daniel sah nicht auf die Umstände, sondern sein Blick ging nach oben zu seinem Gott, der ihm helfen konnte. Unerschüttert durch äußere Umstände überlässt er die Sache Gott, indem er wie immer zu Ihm betet und Ihn preist.

Besehen wir einige Details des Gebetslebens Daniels:

1. Daniel ging in sein Haus: Er machte aus einem Gebetsleben keine öffentliche Demonstration. Er hatte einen Bereich, wo er sich zurückzog. Das war sein eigenes Haus. Dass er dort betete, war in Babel nicht unbekannt. Seine Feinde wussten es genau, und gerade deshalb hatten sie beim König das todbringende Dekret veranlasst. Wir wollen uns die Frage stellen, ob wir unseren Mitmenschen als Beter bekannt sind? Wie Daniel müssen wir unser Gebetsleben nicht unnötig öffentlich zur Schau stellen, aber es muss auch nicht unbekannt sein, dass wir regelmäßig im Gebetskontakt mit unserem Gott stehen. Die Menschen können wissen, dass wir Beter sind.

2. Daniel hatte ein Obergemach, in das er sich zurückzog: Daniel war ein Mann, der mit beiden Beinen im Berufsleben stand. Er hatte einen verantwortungsvollen Posten in der Verwaltung des Königreiches von Darius. Er tat seine Aufgabe treu und zuverlässig. Der König konnte sich auf ihn verlassen. Insofern war Daniel durchaus „geerdet“ und keineswegs „abgehoben“. Gleichwohl hatte er gleichzeitig diesen Rückzugsort, dieses Obergemach, wo er mit einem gewissen Abstand zu den täglichen Umständen seinem Gott nahe war. Kennen wir einen solchen Ort, wo wir außerhalb des täglichen Getriebes und unserer beruflichen und sonstigen Verpflichtungen die Gemeinschaft mit unserem Gott pflegen? Viel Arbeit und Stress ist keine Ausrede, weniger zu beten, sondern höchstens ein Argument, es mehr und intensiver zu tun.

3. Daniels Obergemach hatte offene Fenster nach Jerusalem hin: Das beweist, dass Daniel nicht nur ein Mann des Gebets war, sondern dass er das Wort Gottes (für ihn damals die vorhandenen Schriften des Alten Testaments) gut kannte. Salomo hatte davon gesprochen, dass die Kinder Israel in der Gefangenschaft zu dem Land hin beten sollten, das Gott ihren Vätern gegeben hatte. Damit waren konkrete Zusagen verbunden (vgl. 1. Kön 8,46-51). Daniel betete also im Glauben und Vertrauen auf diese Zusage Gottes und das, obwohl Jerusalem in Trümmern lag und es keinen Tempel gab. Er war ein Mann des Glaubens. Wenn wir im Glauben beten, wissen wir sehr wohl, dass Gott uns nicht alle Wünsche erfüllt. Wir wissen aber auch, dass Er sehr wohl Seine Zusagen erfüllt. Jemand hat einmal gesagt: „Man betet dorthin, worauf man ausgerichtet ist, entweder nach Jerusalem oder nach Babylon.“ Mit anderen Worten: Wir beginnen, füllen und schließen den Tag entweder im glaubensvollen Blick auf unseren Gott oder der erste und letzte Gedanke gilt dem Treiben auf dieser Erde. Wir sollten unseren Blick fest auf den Herrn und seine Zusagen gerichtet haben.

4. Daniel betete auf seinen Knien: Die Bibel schreibt an keiner Stelle eine äußere Gebetshaltung vor. Dennoch ist das Beten auf den Knien biblisch gut begründbar. Es ist ein Ausdruck von Demut und Unterordnung (vgl. Mt 17,14; Mk 1,40; Lk 5,8). Beides steht uns gut zu Gesicht. Der Herr Jesus hat selbst auf den Knien gebetet (Lk 22,41). Paulus tat das auch (Eph 3,14). Im Alten Testament fordert der Psalmdichter auf: „Kommt, lasst uns anbeten und uns niederbeugen, lasst uns niederknien vor dem Herrn“ (Ps 95,6). Einmal wird sich jedes Knie vor dem Herrn beugen müssen (Röm 14,11; Phil 2,10). Wir wollen lernen, unsere Knie jetzt schon freiwillig und gerne vor Ihm zu beugen. Die würdige Form sollte uns wichtig genug sein, weil wir zu der höchsten Autorität beten, die es gibt. Allerdings darf das natürlich nicht nur reine Formsache sein.

5. Daniel betete und lobpries: Daniels Gebetsleben bestand nicht nur aus Bitten, sondern auch aus Lobpreis. Das sind die zwei Seiten des Gebets, die wir auch wiederholt bei Paulus finden. Wir stellen das beim Lesen seiner Briefe schnell fest. Daniel fand trotz schwieriger Umstände im Exil, trotz heidnischer und feindlicher Umgebung, trotz der Zerstörung Jerusalems und auch trotz seines hohen Alters immer noch Grund, seinen Gott zu preisen. Unsere Umstände mögen völlig anders als die von Daniel sein, aber eines wollen wir von ihm lernen, dass wir uns ein dankbares Herz erhalten – selbst dann, wenn die Umstände scheinbar gegen uns sind. Allerdings trug Daniel hier den besonderen Umständen des nahenden Todes in der Löwengrube Rechnung. Das erkennen wir vielleicht darin, dass er nicht nur betete und lobpries, wie er es immer getan hatte, sondern dass er auch flehte. Besondere Lebensumstände erfordern besondere Gebete.

6. Daniel betete vor seinem Gott: Die Menschen vor seinem Fenster konnten ihm zuhören. Dennoch sprach er seine persönlichen Gebete nicht vor Menschen, sondern vor Gott. Er tat es in der vollen Überzeugung, dass Gott gegenwärtig war und ihn hörte. Von Paulus lesen wir, dass er seine Knie „vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus“ beugte (Eph 3,14). Wir sollten beim Beten nie vergessen, dass ein Gebet keine Predigt vor Menschen ist, sondern dass wir uns an die höchste Instanz – an unseren Gott – wenden. Das gilt für unser persönliches Gebet, es gilt aber auch – wenn wir diese praktische Anwendung machen wollen – für das gemeinsame Gebet in der örtlichen Versammlung oder zu anderen Gelegenheiten. Das Gebet darf nicht zu einer Ansprache an andere missbraucht werden. Es richtet sich immer an Gott und geschieht vor Ihm.

7. Daniel betete laut: Obwohl es sich um ein persönliches Gebet handelte, betete Daniel laut. Die Bibel schreibt auch das an keiner Stelle vor. Es gibt durchaus Gebete, die wir im Stillen an unseren Gott richten (vgl. Neh 2,4). Gerade im Getriebe des täglichen Lebens (z.B. am Arbeitsplatz) ist das anders gar nicht möglich. Wenn im Berufsleben oder an anderer Stelle ein plötzliches Problem auftaucht, könnten wir jederzeit ein kurzes und stilles Gebet nach oben richten. Aber die Gewohnheit, das persönliche Gebet zu Hause laut zu sprechen, ist eine gute Gewohnheit. Sie hilft uns jedenfalls, die Konzentration nicht so leicht zu verlieren und beim Beten wachsam zu sein.

8. Daniel betete der Gewohnheit nach: Er tat es, wie er es vorher getan hatte. Gewohnheiten in geistlichen Dingen sind gut, solange sie nicht nur eine Gewohnheit sind. Der Herr Jesus hatte die Gewohnheit, in die Synagoge zu gehen, wo das Wort Gottes gelesen wurde (Lk 4,16). Außerdem hatte Er die Gewohnheit, an den Ölberg zu gehen (Lk 22,39). Dort finden wir Ihn im Gebet. Solche guten Gewohnheiten können wir „übernehmen“. Wir sollten ebenfalls „der Gewohnheit nach“ beten, aber es muss gleichwohl mehr als nur gewohnheitsmäßig geschehen. Daniels Gewohnheit bestand außerdem darin, dass er dreimal am Tag kniete und betete. Auch dazu gibt es keinerlei Vorschrift in der Bibel, aber wir lernen, dass es jedenfalls gut ist, das Gebetsleben in unseren Tagesablauf zu integrieren und feste Gebetszeiten für uns zu reservieren. Gerade dann, wenn der Alltag uns fordert, ist es umso wichtiger, solche festen Gebetszeiten zu kennen und zu praktizieren.

Römer 12,12: „In Hoffnung freut euch; in Trübsal harrt aus; im Gebet haltet an“.

Kolosser 4,2: „Verharrt im Gebet und wacht darin mit Danksagung“.

E.-A. Bremicker

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2014, Heft 12, Seite 371

Bibelstellen: Dan 6,11.12