Äußere Umstände und innere Gnade

Es gibt viele bemerkenswerte Geschichten über die Heiligen Gottes in der Schrift. Die Geschichten des Alten Testaments sind wegen ihrer vorbildlichen Bedeutung oft sehr lehrreich. Joseph ist in seiner Erniedrigung und anschließenden Herrschaft und Herrlichkeit eines der vollkommensten Vorbilder auf unseren Herrn Jesus Christus. Aber es gibt wohl keine außergewöhnlichere Geschichte als die des Apostels Paulus. In 2. Korinther 11 finden wir eine Liste seiner Leiden und Erprobungen, wobei jede einzelne davon eine ernste Glaubensprüfung war. Seine äußeren Umstände waren völlig gegen ihn; doch in 2. Korinther 12 sehen wir, dass er durch eine innerliche Gnade reichlich entschädigt wurde, für die es sich lohnte, all diese Erprobungen zu erdulden.

Wenn wir den ganzen Brief an einem Stück lesen, werden wir auf eine geographische Reise geführt. Wir starten in 2. Korinther 1 in Asien, wo der Apostel sich auf den großen Aufruhr bezieht, von dem in Apostelgeschichte 19 berichtet wird. Die Verkündigung von Paulus war eine so klare Demonstration des Geistes und der Kraft, dass sie zu einem Umsturz satanischer Praktiken führte, so dass der Teufel wütend wurde und seine Diener aufwiegelte. In 2. Korinther 11,23 spricht Paulus davon, dass er oft „in Todesgefahren“ war, und dies war eines dieser Ereignisse. Gott schritt zu seiner Befreiung ein, aber die ganze Episode zeigte dem Apostel, dass er „das Urteil des Todes“ in sich trug. Er wurde sich bewusst, dass er eigentlich ein toter Mann war, und dass jedes Vertrauen in sich selbst vergeblich war.

Apostelgeschichte 20,1 berichtet, dass Paulus, nachdem der Aufruhr abgeklungen war, nach Mazedonien weiterreiste, aber sein Zwischenstopp in Troas, der in 2. Korinther 2,12 geschildert wird, wird dort nicht erwähnt. Dort waren die Umstände ganz anders, aber auch dort gab es Erprobung.

Paulus kam zwar äußerlich zur Ruhe, wurde dafür aber in einen inneren Konflikt gestürzt. Er hatte seinen ersten Brief an die Korinther geschrieben und hoffte, in Troas Titus zu treffen und von ihm zu erfahren, welche Wirkung der Brief in der Versammlung gehabt hatte. Titus erschien nicht, und Paulus’ Sorge um die Korinther war so groß, dass er keine Ruhe in seinem Geist hatte. Von den äußerlichen Gefahren in Ephesus war er in Troas in eine innerliche Bedrängnis des Geistes gekommen, und zwar so stark, dass er nicht in der Lage war, dort das Evangelium zu verkündigen. Diese innerliche Bedrängnis entsprach in ihrer Auswirkung der äußeren: Die eine ließ ihn in aller Eile Ephesus verlassen, die andere Troas.

Wir gehen weiter zu 2. Korinther 7,5 und finden uns mit Paulus in Mazedonien wieder, wo er immer noch im Ungewissen über die Korinther gelassen wurde, während er auf die Ankunft von Titus wartete. Die Dinge waren durch seine Abreise aus Troas nicht besser geworden, sondern wurden immer schlimmer, denn er sagt: „Unser Fleisch hatte keine Ruhe, sondern in allem waren wir bedrängt.“ In Ephesus war die Bedrängnis äußerlich, in Troas war sie innerlich, doch in Mazedonien wurde beides gefunden. Es war, als ob Ephesus und Troas zusammenflossen, es waren „von außen Kämpfe, von innen Befürchtungen.“

Wir wollen einmal innehalten und bedenken, dass wir heute in ganz anderen Umständen leben. Seit Jahrhunderten hat es nur wenig oder gar keine Verfolgung in der „westlichen Welt“ gegeben. Infolgedessen müssen wir die Aussage fast umdrehen und sagen, dass wir schwach und furchtsam geworden sind, so dass wir von außen Angst und von innen Kämpfe gehabt haben. Wenn die Welt mehr von außen auf uns einhämmern würde, wären wir weniger geneigt, innerlich zu hadern.

Die Korinther

In Mazedonien wurde Paulus dadurch von seinen Befürchtungen befreit, dass Titus kam und gute Nachrichten brachte: Der Brief von Paulus hatte die Korinther zur Buße geführt. Der Apostel fühlte sich frei, zu untersuchen, wie es nun um die Korinther stand. Unsere Gedanken werden dadurch nach Korinth in der Provinz Achaja gelenkt, obwohl Paulus selbst nicht dort war.

Auch wenn es in Korinth ein gewisses Maß an Wiederherstellung gegeben hatte, war das noch nicht ausreichend. Mit einer Geldsammlung für arme Gläubige hatten die Korinther einen viel versprechenden Anfang gemacht, aber sie hatten dieses Werk nicht vollendet und wurden von den Mazedoniern deutlich übertroffen, obwohl diese weit weniger reich an weltlichen Besitztümern waren. Der Apostel fürchtete immer noch, dass die Herzen der Korinther durch die Handlungen von Männern, die keine wahren Nachfolger und Diener des Herrn waren, von der Einfalt gegen den Christus abgezogen würden. Es waren dort „falsche Apostel, betrügerische Arbeiter, die die Gestalt von Aposteln Christi annehmen“ (2. Kor 11,13).

Diese Betrüger verherrlichten sich selbst. Wenn Paulus von denen schreibt, die die Korinther knechteten, sie aufzehrten, von ihnen nahmen, sich überhoben und ihnen ins Gesicht schlugen (2. Kor 11,20), dann beschreibt er damit genau das, was diese falschen Apostel taten. Anschließend stellte er diesem Tun seine eigenen Erfahrungen gegenüber, wie wir in Vers 23 bis 33 sehen. Was für ein Gegensatz!

Wir verlassen jetzt Achaja und begeben uns in den weitläufigen Wirkungskreis „von Jerusalem an und ringsumher bis nach Illyrien“, von dem Paulus in Römer 15,19 spricht. Prüfungen, Not und Unglücke türmten sich dort anscheinend wie Berge auf. Fünfmal bekam der Apostel von den Juden vierzig Streiche weniger einen – 195 Schläge. Dreimal wurde er, offensichtlich von den Heiden, mit Ruten geschlagen. Einmal wurde er gesteinigt – das war, wie wir wissen, in Lystra. Dreimal erlitt er Schiffbruch; und als er das schrieb, war er noch nicht gefangen nach Rom geführt worden. Der Schiffbruch in Apostelgeschichte 27 muss also mindestens der vierte gewesen sein. Einmal war seine Lage so ausweglos, dass Paulus eine Nacht und einen Tag lang vom Meer umspült wurde. All das zusammen hätten die wenigsten überlebt, aber das war noch nicht alles.

Es gab außerdem Dinge, die sein Herz angriffen, so wie die geschilderten Ereignisse seinen Körper angriffen. Da war „die Sorge um alle Versammlungen.“ Da waren die Schwachen und solche, die Anstoß gaben und Anstoß nahmen – und das drang täglich auf ihn ein. Die Versammlungen waren auch keine kleinen Paradiese, als Paulus unter ihnen war. Zu oft laufen Menschen heutzutage einfach weg, wenn sie in einer Versammlung etwas nicht richtig finden. Paulus lief nicht davon, sondern nahm sich betend der Schwierigkeiten an.

In den Himmel entrückt

Am Ende dieser Aufzählung von äußeren Umständen führt uns der Apostel nach Damaskus. Die Begebenheit, die er erwähnt, ereignete sich, wie wir glauben, am Ende seines zweiten Besuchs in dieser Stadt, von dem er in Galater 1,17 spricht, jedenfalls am Anfang seiner „Geschichte“. Der Korb muss so groß gewesen sein, dass er einen erwachsenen Mann fassen konnte – vielleicht von der Art, wie man sie für schmutzige Wäsche benutzt. Wenige Jahre vorher war er der Stolzeste der stolzen Pharisäer in Jerusalem gewesen. Was für ein Abstieg! Er selbst schreibt: „Ich wurde durch ein Fenster in einem Korb an der Mauer hinabgelassen“ (2. Kor 11,33). So war es; aber wir sollten dabei nicht den Gegensatz übersehen, der uns beim Weiterlesen in 2. Korinther 12 ins Auge springt. Der Mann, der auf die Erde „hinabgelassen“ wurde, wird bis in den dritten Himmel „entrückt“.

Doch beachten wir, wie er in diesem Zusammenhang von sich selbst spricht. Sein eigener Name, ob nun Saulus oder Paulus, entfällt völlig und er ist einfach ein „Mensch in Christus“ – eine Beschreibung, die auf jeden wahren Gläubigen zutrifft. Ein solcher hat ein neues Leben, aus einer neuen Quelle – nicht in Adam, sondern in Christus – und steht in der Kraft dieses Lebens in einer neuen Stellung, der Stellung, die auch Christus hat, vor Gott. Im dritten Himmel, dem Paradies, empfing er eine Fülle von Offenbarungen und hörte unaussprechliche Worte, die anderen Menschen in diesen niedrigeren Gefilden unmöglich mitgeteilt werden konnten.

Ihm wurden auch Offenbarungen anvertraut, die er weitergeben konnte, wie zum Beispiel das Geheimnis von Christus und der Versammlung, das er in Epheser 3,3 erwähnt, oder das Geheimnis der Verwandlung und Entrückung der Gläubigen, von dem er in 1. Korinther 15,51 und 1. Thessalonicher 4,15-17 spricht. Wir können aus diesen unaussprechlichen Offenbarungen schließen, dass sie Paulus mit der Absicht gegeben wurden, ihm persönlich einen Überfluss an innerer Gnade zukommen zu lassen, die ihn durch die beispiellosen Prüfungen hindurchtragen würde, denen er begegnen musste.

Der Dorn für das Fleisch

Doch als Paulus sich danach wieder in irdischen Umständen befand, kamen erneut Prüfungen über ihn. Das Fleisch in ihm war durch seinen Aufenthalt im dritten Himmel nicht ausgemerzt worden. Die Neigung des Fleisches, stolz zu sein und sich selbst zu erhöhen, war nach wie vor dieselbe. Deshalb wurde ihm der „Dorn für das Fleisch“ gegeben. Das Wort „Dorn“ ist an dieser Stelle nicht stark genug, auch wenn ich mich erinnere, in Afrika Mimosendornen gesehen zu haben, die 12 bis 15 Zentimeter lang und so hart wie das härteste Holz waren. Das griechische Wort meint jedoch einen spitzen Pfahl. Der Dorn war Gottes vorbeugende Züchtigung, deren genaue Wirkungsform wir nicht kennen und auch nicht kennen müssen. Er war ein „Bote Satans“ – und doch kam er von der zulassenden Hand Gottes, zusätzlich zu den Prüfungen, die durch die Verfolgungen der Welt und durch die Fehler und das Versagen der Gläubigen über Paulus kamen.

Der Dorn blieb, obwohl Paulus dreimal betete, dass er von ihm weggenommen werden möge. Doch der Dorn wurde zu einer Gelegenheit für eine erneute Zusicherung der überströmenden Versorgung mit innerer Gnade. Er hörte die unvergänglichen Worte: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.“ Es ist nicht nur Gnade, sondern „meine Gnade“ und nicht nur Kraft, sondern „meine Kraft.“ Die Größe der Gnade und der Kraft kann nur durch die göttliche und ewige Fülle der Person ermessen werden, deren Gnade und Kraft es ist. Wie gering war Paulus, der hier mit „dir“ gemeint war, angesichts einer solchen Größe – und wir sind noch geringer als Paulus. Bei dem Herrn ist unendlich viel Gnade und Kraft. Das trug Paulus bis ans Ende und befähigte ihn dazu, mit dem Märtyrertod vor Augen zu triumphieren, wie wir in 2. Timotheus 4,6-8 lesen.

Deshalb lasst uns Mut fassen, liebe Geschwister, und versichert sein, dass es trotz äußerer, prüfender Umstände einen Überfluss an innerer Gnade und Kraft gibt, die uns hindurchtragen. Wenn wir in der Herrlichkeit sind, werden wir sagen, dass wir nicht eine der Prüfungen missen möchten, die diesen Zustrom an Gnade und die Erprobung der Kraft bewirkten. In unseren irdischen Umständen mögen wir manches Mal, wie Paulus, „hinabgelassen“ werden, aber wenn unser Herr wiederkommt, werden wir mit Paulus „entrückt“ werden.

F.B. Hole

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2015, Heft 7