Prophetie

Auslegungsgrundsätze, Motivation, Mittelpunkt

Einleitung

Es gibt keinen Zweifel: Die Zeit der Gnade, in der wir leben, strebt ihrem Ende zu. Es sind die „letzten Tage“ (2. Tim 3,1). Sehr bald wird der Herr Jesus kommen, um die Gläubigen zu sich zu entrücken. Was kommt danach? Die Bibel gibt darüber Auskunft. Kinder Gottes warten auf die herrliche Zukunft im Vaterhaus. Doch das ist nicht alles. Auch die Erde hat eine Zukunft, ebenso wie das Volk Israel. Jesus Christus wird öffentlich, herrlich und machtvoll erscheinen und regieren. Mittelpunkt aller prophetischen Aussagen ist unser Herr und Heiland. „Der Geist der Weissagung ist das Zeugnis Jesu“ (Off 19,10). Er wird sein Reich dort gründen, wo  man Ihn damals gekreuzigt hat. Das ist Gottes großes Ziel mit der Erde – das Thema biblischer Prophetie.

1. Worum es geht

Beim Studium der Prophetie können
wir verschiedene Fragen stellen, die
wichtig sind:

  • Was geschieht? – Ereignisse!
  • Wann geschieht es? – Zeitabläufe!
  • Warum geschieht es? – Ziel!

Häufig konzentrieren wir uns auf die ersten beiden Fragen. Dabei hilft uns gerade die dritte Frage, das Wesen der Prophetie zu verstehen. Es geht eben nicht nur darum, was geschieht und wann es geschieht. Wir sollen
vor allem sehen, warum es geschieht. Es geht um die „Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“ (2. Pet 1,16). Das ist nicht nur der eigentliche Akt seines Kommens, sondern schließt das Tausendjährige Reich ein. Alles im prophetischen Kalender Gottes hat damit zu tun.

2. Prophetische Themen

Das prophetische Wort beschäftigt sich grundsätzlich mit zukünftigen Ereignissen auf der Erde. Die himmlische Bestimmung der Versammlung ist deshalb nicht Thema der biblischen Prophetie. Es geht vielmehr um die Zukunft Israels und seiner Nachbarstaaten und dabei vor allem um die Frage, wie Gott seine Zusagen aus dem Alten Testament erfüllt. Es geht um die Zukunft Europas und um die abgefallene Christenheit. Es geht um das Ende der Weltreiche, von denen Daniel spricht. Das alles dient dazu, das Reich vorzubereiten, in dem Christus regieren wird.

3. Das prophetische Wort ist sicher

Es gibt nur einen, der über die Zukunft Auskunft geben kann. Das ist Gott. Er tut es in der Bibel: „Der ich von Anfang an das Ende verkünde und von alters her, was noch nicht geschehen ist; der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und all mein Wohlgefallen werde ich tun“ (Jes 46,10). Das Studium der Prophetie ist dabei nicht spekulativ, sondern beruht auf biblischen Fakten. Viele bereits erfüllte Prophezeiungen beweisen das. „Das Frühere, siehe, es ist eingetroffen, und Neues verkündige ich“ (Jes 42,9). J.N. Darby hat einmal geschrieben: „Prophetie ist die Geschichte, die Gott uns von der Zukunft gegeben hat.“

4. Der zentrale Gegenstand der Prophetie

Der Mittelpunkt biblischer Prophetie ist niemand anderes als der Herr Jesus. Es geht darum, dass Gott Ihn im kommenden Reich auf der Erde verherrlichen wird. Das, was damals auf dem „Berg der Verklärung“ passierte, symbolisiert dieses Reich. Wie in einer Nussschale zeigt uns dieses Ereignis den Rahmen und den Gegenstand biblischer Prophetie. Christus wird der König seines Volkes sein (Sach 9,9). Er wird als Sohn des Menschen über alles herrschen, was Gott geschaffen hat (Ps 8,6). Gott wird in Ihm alles unter ein Haupt zusammenbringen (Eph 1,10). Jedes Knie wird sich vor Ihm beugen (Phil 2,10).

5. Das Studium der Prophetie

Warum beschäftigen wir uns mit der Prophetie? Gott gibt uns das prophetische Wort nicht, um unsere Neugierde zu befriedigen. Er verfolgt andere Ziele, wie z.B.:

  • Wir sollen Christus in seiner Größe und Herrlichkeit besser kennenlernen und uns darauf freuen, wenn Er hier auf der Erde gerecht und in Frieden regiert.
  • Die Prophetie ist eine Lampe, die an einem dunklen Ort scheint. Sie hilft uns, in einer finsteren Welt so zu leben, dass Gott Freude an uns hat, indem wir heilig und gottselig leben (2. Pet 3,11).
  • Das Studium der Prophetie vertieft den Wunsch in unseren Herzen auf die „glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“ (Tit 2,13). Die Hoffnung      verbindet sich dabei mit der Entrückung, die Erscheinung mit seinem Kommen in Macht und Herrlichkeit.
  • Das Studium der Prophetie und der damit verbundene Schrecken des Herrn (2. Kor 5,11) fungieren wie ein Motor, der uns antreibt, die Botschaft des Heils in die Welt zu tragen.

6. Sechs Schlüssel zum besseren Verständnis der Prophetie

Das Studium der Prophetie ist nicht sehr schwierig, wenn man die richtigen Schlüssel dazu benutzt. Ich möchte folgende Schlüssel zeigen:

  • Christus: Er ist sozusagen der „Generalschlüssel“, den wir immer zum Verständnis der Wahrheit brauchen. Es geht zuerst um Ihn und seine Herrlichkeit. Der Geist, der in der Weissagung spricht, spricht von Ihm. Das bedeutet, dass wir jede Weissagung erst dann wirklich verstehen, wenn wir sie mit der herrlichen Person unseres Herrn verbinden.
  • Der Startpunkt: Biblische Prophetie im eigentlichen Sinn beginnt mit dem Ende der Gnadenzeit. Die Entrückung ist der Auslöser dafür, dass die in der Bibel beschriebenen Ereignisse stattfinden können. Vieles, was wir heute sehen und erkennen (z.B. die Existenz des Staates Israel seit 1948 oder die Bestrebungen, Europa zu einigen) sind maximal Vorstufen oder Schatten, was in der Zukunft passieren wird.
  • Zusammenhänge: Petrus sagt, dass keine Schrift sich selbst auslegt (2. Pet 1,20). Das gilt auch für die Prophetie. Es ist erstens unerlässlich, den unmittelbaren Kontext zu beachten. Zweitens müssen wir die Verbindung zu anderen Bibelstellen sehen, denn eine Bibelstelle wird (fast) immer durch eine andere Bibelstelle erklärt. Beachten wir das nicht, werden wir vieles nicht verstehen.
  • Geschichtskenntnis: Vieles in der Prophetie versteht man nur, wenn man erkennt, dass vergangene Geschichte fortgesetzt wird. An manchen Stellen im Alten Testament geht die Beschreibung vergangener Ereignisse nahtlos in die Darstellung künftiger Ereignisse über. Manchmal ist das nicht sofort ersichtlich, wird jedoch beim intensiven Studieren klar. Ein Beispiel ist das vierte Weltreich Daniels, das eine Vergangenheit und eine Zukunft hat.
  • Teilerfüllte Weissagungen: Das Alte Testament beinhaltet viele Weissagungen, die schon erfüllt sind. Oft handelt es sich dabei jedoch nur um eine Teilerfüllung. Wenn wir etwa an die Voraussagen über die Leiden des Herrn denken, so sind sie vollständig erfüllt. Häufig wird jedoch in denselben Weissagungen auf seine kommenden Herrlichkeiten im Reich hingewiesen. Das hat sich bisher nicht erfüllt. Es gibt Weissagungen, die zeigen, dass Israel aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrt ist. Oft wird diese Rückführung mit der kommenden Herrlichkeit verbunden, die Gott seinem Volk einmal geben wird. Vieles ist tatsächlich erfüllt, vieles muss noch erfüllt werden. Es gilt, das eine sorgfältig vom anderen zu unterscheiden.
  • Verschiedene Zeitalter: Damit ist gemeint, dass wir lernen müssen, zwischen der Zeit der Gnade (der Versammlung) und den übrigen Zeitaltern zu unterscheiden. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Versammlung würde Israel „geistlich fortsetzen“. Wer das glaubt, wird nie einen klaren Blick für biblische Prophetie bekommen. Gott hat sein irdisches Volk für lange Zeit an die Seite gesetzt, nachdem es den Messias gekreuzigt hatte. Jetzt ist die Zeit der Versammlung „eingeschoben“. Das heißt jedoch nicht, dass es für Israel keine Zukunft gibt (Röm 9-11).

7. Alle Fäden laufen bei Gott zusammen

Bei allem, was wir noch zu erwarten haben, könnte man fragen, wer denn die Geschicke der Zukunft lenkt. Die Antwort ist offensichtlich: Gott hat immer alles in seiner Hand. Er überlässt nichts dem Zufall. Daniel 2,21 sagt: „Und er ändert Zeiten und Zeitpunkte, setzt Könige ab und setzt Könige ein.“ Gott bestimmt, wer hier auf der Erde etwas tut oder nicht tut. Er legt fest, was passieren wird und wann es passieren wird. Er bestimmt, wie lange jemand etwas tut oder nicht tut. Deshalb muss kein Gläubiger das prophetische Wort mit Sorge lesen.

 

Ernst August Bremicker

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2019, Heft 9, Seite 3

Bibelstellen: Sacharja 9,9; Psalm 8,6; Epheser 1,10; Philipper 2,10; u. a.

Stichwörter: Gegenstand der Prophetie, prophetische Wort, Verständnis