Der wassersüchtige Mann
Gedanken zu Lukas 14,1-24
Wieder ein Wunder, das am Sabbat stattfand. Es geschah nicht in einer Synagoge, sondern am Tisch eines der Obersten der Pharisäer. Lukas, der als einziger Evangelist von der Situation berichtet, teilt mit, dass „sie ihn belauerten“ (Lk 14,1). Die Haltung des Gastgebers und seiner Freunde gegenüber ihrem Gast war also klar. Sie lagen mit dem menschgewordenen Sohn Gottes zwar zu Tisch, aber waren so blind, dass sie es nicht erkannten.
Jesu Worte waren eine lehrreiche Erfahrung für diejenigen, die Ohren hatten, zu hören (vgl. Lk 14,35). Der Mund der ewigen Wahrheit war es, der sich hier öffnete. An diesem Tag wurden Dinge gesagt, die jeden Gast in Demut vor Gott in sein Kämmerlein hätten schicken sollen. Der Heiland sprach von der grenzenlosen Gnade Gottes. Er sprach auch von der hoffnungslosen Bosheit des menschlichen Herzens. Die Anwesenheit eines Kranken – eines Mannes, der an Wassersucht¹ litt – bot Ihm die Gelegenheit dafür.
Diesmal warf Jesus selbst die Frage des Sabbats auf. Er fragte die Schriftgelehrten und Pharisäer um Ihn herum: „Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen, oder nicht?“ Da Er keine Antwort erhielt, heilte Er den armen Mann und ließ ihn gehen. Weil Er wusste, dass sie Ihn in ihrem Herzen für seine barmherzige Tat bitter verurteilten, fuhr Er fort: „Wer ist unter euch, dessen Esel oder Ochse in einen Brunnen fallen wird und der ihn nicht sogleich herausziehen wird am Tag des Sabbats?“ Auf diese Herausforderung gab es keine Antwort. Denn wo es um ihr eigenes Interesse ging, hatten sie keine Skrupel, sofort zu handeln, auch wenn der Tag noch so heilig war.
Der Mensch – auch der religiöse Mensch – wird also damit konfrontiert, dass er überhaupt nicht in Einklang mit Gott lebt. Seine Genauigkeit im Blick auf religiöse Formen, auf die er sich so viel einbildet, ist nicht die Frucht der Liebe zu Gott, sondern lediglich die Befriedigung seines „geistlichen Stolzes“. Was kann man sich Anstößigeres vorstellen als das! Wenn offenkundige Übertreter „böse Werke“ (Kol 1,21) hervorbringen, so bringen religiöse Menschen „tote Werke“ (Heb 9,14) hervor. Beide Gruppen sind dem, mit dem wir es zu tun haben, gleichermaßen verhasst. Der Mensch ist moralisch so sehr von Gott entfremdet, dass es allen gleichermaßen gesagt werden muss: „Ihr müsst von neuem geboren werden“ (Joh 3,7).
Es schmerzt, von dieser Enthüllung des menschlichen Herzens durch den Heiland am Tisch des Pharisäers zu lesen. Er tadelte den Stolz der Gäste, der sich in ihrem Gerangel um die besten Plätze zeigte. Dann tadelte Er den Egoismus des Gastgebers, der nur diejenigen an seine Tafel eingeladen hatte, die ihn sicher wieder belohnen würden (Lk 14,7-14). Es zeigte sich Stolz und Egoismus in der Gegenwart des Selbstlosen, der voller Liebe zu verlorenen Sündern die Herrlichkeit des Himmels für das Kreuz von Golgatha verlassen hatte!
Als jemand die Bemerkung wagte: „Glückselig, wer Brot essen wird im Reich Gottes!“ (Lk 14,15), ergänzte Er das Gleichnis vom großen Gastmahl. Dort wird die traurige Tatsache geschildert, dass Gott ein so wertvolles und seltenes Geschenk anbietet, der Mensch aber kein Herz dafür hat. Die, die sich um die besten Plätze im Haus des Pharisäers rangelten, wollten überhaupt keinen Platz dort, wo Gott und seine Gnade zu finden waren. „Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt“, war ihre einheitliche Antwort auf seine liebevolle Einladung. Wenn Gott Gäste bei seinem Festmahl haben möchte, dann ist die Feindseligkeit des menschlichen Herzens Ihm gegenüber selbst bei religiösen Personen so groß, dass Er sie „nötigen“ muss, hereinzukommen (Lk 14,23). In der Tat, wenn das Herz des Menschen durch und durch böse ist, so ist das Herz Gottes durch und durch gut – für immer.
Und der Herr sprach zu dem Knecht:
Geh hinaus auf die Wege und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde.
Lukas 14,23
FN 1: Es handelt sich um eine Folgeerscheinung bestimmter Krankheiten, bei denen sich Flüssigkeit in Körperhöhlen, Gewebe und Gelenken ansammelt. (Anm. der Red.)
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