Glaubensleben

Kleine Füchse

„Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge sind in der Blüte!“ (Hld 2,15).

Historisch beschreibt das Hohelied die heranwachsende und Schwankungen unterworfene Liebe zwischen dem Hirtenmädchen Sulamith und dem König Salomo. Prophetisch wird damit die neu beginnende Beziehung zwischen dem gläubigen Überrest aus den Juden und Christus in der noch zukünftigen Drangsalszeit vorgestellt. Als Christen finden wir in diesem Buch viele Hinweise auf unsere persönliche Beziehung zum Herrn Jesus, die auf seine Liebe gegründet ist. Der Bibelausleger Hamilton Smith hat zu diesem Buch gesagt: „Das Maß unserer Liebe zum Herrn entspricht dem Maß des Bewusstseins seiner Liebe zu uns. Darin liegt der große Wert des Hohenliedes. Es erweckt unsere Liebe durch das Entfalten seiner Liebe.“

Zurück im eigenen Haus

Im ersten Lied¹ (Kap. 1,2-2,7) sehen wir die Zuneigung und Gemeinschaft, die der Geliebte und die Braut im Palast des Königs miteinander genossen hatten. Im zweiten Lied (Kap. 2,8-3,5) hat die Braut die Gemeinschaft mit dem Geliebten verlassen und ist in ihr Haus zurückgekehrt. Dort geht sie anscheinend eigenen Beschäftigungen nach. Er eilt aber herbei und überwindet alle Hindernisse, um zu ihr vorzudringen. Er will ihre Liebe neu wecken und die Gemeinschaft wiederherstellen. Dabei sagt er ihr, was er für sie empfindet und stellt ihr in Bildern aus der Natur die Schönheit der Gemeinschaft vor, die sie zukünftig miteinander genießen werden.

Wir verstehen gut, dass uns Gottes Wort hier einen Spiegel vorhält. Unser Alltag, die irdischen Aufgaben und andere Beschäftigungen führen schnell dazu, dass unsere Liebe zu unserem Herrn „einschläft“. Wie dankbar können wir sein, dass Er uns nachgeht, seine Liebe wieder neu vorstellt und uns auffordert: „Mach dich auf … und komm!“ (V. 10.13). Nur wenn wir in seiner Nähe die Tiefe seiner Liebe erkennen, sind wir in der Lage, Ihm darauf eine Antwort zu geben.

Die Weinberge

Vielleicht können wir in den Weinbergen (V. 15) einen Hinweis auf diese Gemeinschaft sehen. Wie aus den Reben der Weinberge zur Freude des Weinbergbesitzers Trauben wachsen, so wächst aus der Gemeinschaft Frucht, an welcher der Herr Freude hat. Als Er hier auf der Erde war, genoss Er das Zusammensein mit den Seinen – z. B. im Kreis der Jünger oder im Haus in Bethanien -, weil Er ihnen seine Liebe zeigen konnte und sie diese erwiderten. Damit erfüllte sich das Psalmwort: „Auf dem Weg wird er trinken aus dem Bach“ (Ps 110,7). Diese Freude empfindet Er heute in der persönlichen Gemeinschaft mit uns noch genauso. Und auch wir genießen die Gemeinschaft, denn wir werden in seiner Nähe Segen und Glück erleben.

Allerdings ist die Bewirtschaftung eines Weinbergs eine mühevolle Arbeit. Immer wieder muss der Winzer den Boden bearbeiten, die Weinstöcke schneiden und die Fruchtruten biegen und binden, um so seinen Weinberg auf die nächste Ernte vorzubereiten. Wenn sich dann im Spätfrühling die Blüten der Weinreben zeigen, freut er sich, weil die heranwachsende Frucht sichtbar wird.

Zeigt uns das nicht, wie viel Mühe der Herr aufwendet, um uns in Gemeinschaft mit Ihm zu bringen und unsere Liebe zu Ihm zu wecken?

Störenfriede

In der Blütezeit brauchen die Reben sehr viel Ruhe, damit die Selbstbefruchtung der Fruchtknoten stattfinden kann. Genau in diesem empfindlichen Stadium sind die Weinberge hier, als plötzlich Störenfriede – kleine Füchse – auftauchen. Wer Jungfüchse in der Natur beobachtet, mag fasziniert sein, wie niedlich sie aussehen. Doch diese Tiere sind nicht nur niedlich. Wenn eine Fuchsmutter (Fähe) Nachwuchs bekommt, wird es im Fuchsbau eng und die Nahrung knapp. Deshalb müssen die kleinen Fuchswelpen schon recht früh ins Freie und selbst mit der Nahrungssuche beginnen. Dabei gehen sie ungestüm und schonungslos ans Werk. Alles, was ihnen „vor die Schnauze kommt“, wird angenagt und – wenn nicht direkt gefressen – beschädigt. Mit ihren scharfen Krallen durchwühlen sie den Boden ohne Rücksicht auf Verluste. Und in ihrem Spieltrieb machen sie durch Herumtollen und Raufen mit anderen Fuchswelpen die Gegend unsicher. Kurzum: Jungfüchse im Weinberg hinterlassen einen großen Schaden.

Was haben die Füchse mit uns zu tun?

Als der Herr den Ephesern sagen musste, dass sie ihre erste Liebe verlassen hatten (Off 2,4), war das wahrscheinlich anderen und ihnen selbst noch gar nicht aufgefallen. Nach außen hin schien alles in Ordnung zu sein. Aber der Herr hatte die Veränderung in ihrer Liebe zu Ihm bemerkt. Auch in unser Leben schleichen sich (manchmal unbemerkt) Dinge ein, die harmlos und unschädlich aussehen, aber erhebliches „Störpotential“ haben. Sie hindern uns an der Gemeinschaft mit Ihm, so dass unsere Liebe zu Ihm nach und nach einschläft. Was kann in unserem Leben zu „kleinen Füchsen“ werden? Bei den zwölf Jüngern finden wir einige Beispiele:

  • Hochmut: Als der Herr ihnen vorstellte, dass Er in die Hände der Menschen überliefert würde, überlegten sie, wer der Größte unter ihnen sei (Lk 9,44-48).
  • Oberflächlichkeit: Obwohl Philippus drei Jahre mit dem Herrn gelebt hatte, hatte er Ihn nicht wirklich erkannt (Joh 14,8.9).
  • Lieblosigkeit: Als Maria den Herrn aus Liebe mit der kostbaren Narde salbte, redeten sie von Vergeudung (Mk 14,3-9).
  • Selbstüberschätzung: Petrus war von seiner Liebe zum Herrn völlig überzeugt (Lk 22,33), doch als sie auf die Probe gestellt wurde, versagte er (Lk 22,54-62).
  • Kraftlosigkeit: Als der Herr in Gethsemane sie bat, dort mit Ihm zu wachen, schliefen sie ein (z. B. Mt 26,36-45).
  • Mangelnder Glaube: Als der auferstandene Herr in die Mitte der Jünger trat, verpasste Thomas diese wunderbare Gelegenheit, weil ihm Glaube fehlte (Joh 20,24-29).

Vielleicht sind auch in meinem oder deinem Herzen solche oder andere (vielleicht noch unentdeckte) störende Einflüsse? Die Braut im Hohelied hatte die kleinen Füchse offensichtlich nicht bemerkt, sonst hätte ihr Geliebter sie nicht darauf aufmerksam machen müssen². Wir sollten im Gebet den Herrn bitten, uns solche „Störenfriede“ zu zeigen!

Wie müssen wir mit den kleinen Füchsen umgehen?

Junge Füchse einfach nur zu vertreiben, reicht nicht aus. Sie sind schnell, listig und kommen immer wieder. Deshalb fängt man sie oft in mit Ködern ausgelegten Fallen, um sie dann zu töten. Der Geliebte im Hohelied hatte die Gefahr erkannt und wollte darum die Füchse fangen lassen. Nur durch dieses konsequente Handeln konnte der Weinberg vor Schaden bewahrt werden.

Aber was bedeutet das für uns? Wenn der Herr uns solche Schwachstellen in unserem Leben gezeigt hat, dann müssen wir richtig damit umgehen. Es reicht nicht, sie mal für eine Zeit zu beseitigen. Wir müssen sie „fangen“ und aus unserem Leben entfernen. Das ist nicht einfach und manchmal brauchen wir dazu viele Anläufe.

Beim Lesen von Vers 15 fällt allerdings auf, dass der Geliebte sagt: „Fangt uns …“ An wen genau er diese Aufforderung richtet, wird nicht ganz deutlich³. Wir können aber sicher die Anwendung machen, dass wir beim „Fangen“

a.) uns selbst anstrengen müssen,

b.) die Hilfe anderer Gläubiger – z. B. im Rahmen eines Hirtendienstes – in Anspruch nehmen dürfen,

c.) vor allem die Hilfe unseres Herrn brauchen.

Mit dem Wort „uns“ betont der Geliebte, dass er den Weinberg als gemeinsames Teil mit der Braut ansieht. Uns zeigt das, wie wertvoll dem Herrn Jesus die Gemeinschaft mit uns ist.

Fazit

Die Bemühungen des Geliebten finden eine Antwort in den Worten der Braut: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der unter den Lilien weidet“ (V. 16). Er hat gezeigt, wie sehr er sie liebt, und das weckt ihre Liebe zu ihm. Sie will jetzt dort sein, wo er ist. Diese Reaktion hatte der Geliebte erwartet. Der Herr Jesus will auch unsere Herzen immer wieder erreichen und unsere Liebe neu wecken. Dafür wollen wir uns gerne – auch wenn es manchmal schwerfällt – auf die Jagd nach den „kleinen Füchsen“ in unserem Leben machen.

 

Tote Fliegen machen das Öl des Salbenmischers stinkend und gärend: Ein wenig Torheit hat mehr Gewicht als Weisheit und Ehre.

Prediger 10,1


FN 1: Das Hohelied kann in fünf aufeinanderfolgende Lieder eingeteilt werden.

FN 2: Es ist nicht eindeutig zu sagen, wer hier spricht. Viele Ausleger sehen an dieser Stelle die Worte der Braut. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Anwendung.

FN 3: Im Hohelied werden noch andere Personen erwähnt, wie z. B. die Töchter Jerusalems oder die Wächter der Stadt.


 

Henning Panthel

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2022, Heft 1, Seite 27

Bibelstellen: Hohelied 1,2–3,5; Johannes 14,8.9; Markus 14,3-9; Matthäus 26,36-45; Lukas 22,33.54-62; u. a.;

Stichwörter: Füchse, Gemeinschaft, Glaube, Liebe, verderben, Weinberge