Biblische Lebensbilder

Onesiphorus

Onesiphorus zählt zu den Dienern Gottes, die Paulus in seinen Briefen erwähnt, ohne dass wir viel über sie wissen. Er wird in 2. Timotheus zweimal erwähnt. In Kapitel 1,16-18 wird er ein wenig beschrieben, in Kapitel 4,19 werden Grüße an sein Haus ausgerichtet. Das lässt darauf schließen, dass er und seine Familie in Ephesus wohnten, denn dort war Timotheus, als Paulus ihm schrieb.

Besonders der Text in 2. Timotheus 1 ist aufschlussreich, um etwas mehr über diesen Diener Gottes zu erfahren und von ihm zu lernen. Er lautet:

„Du weißt dies, dass alle, die in Asien sind, sich von mir abgewandt haben, unter welchen Phygelus ist und Hermogenes. Der Herr gebe dem Haus des Onesiphorus Barmherzigkeit, denn er hat mich oft erquickt und sich meiner Kette nicht geschämt, sondern als er in Rom war, suchte er mich fleißig und fand mich. Der Herr gebe ihm, dass er vonseiten des Herrn Barmherzigkeit finde an jenem Tag! Und wie viel er in Ephesus diente, weißt du am besten“ (2. Tim 1,15-18).

Seine Bereitschaft, gegen den Strom zu schwimmen

Als Paulus seinen zweiten Brief an Timotheus – und damit seinen letzten Brief überhaupt – schrieb, hatten sich die Gläubigen in Asien (gemeint ist eine römische Provinz im Gebiet der heutigen Türkei) weitgehend von Paulus abgewandt. Das ist genau die Gegend, in der Paulus sehr intensiv gearbeitet hatte und in der es viele Christen gab (vgl. Apg 19,10). Die Briefe an die Epheser und Kolosser machen deutlich, wie eng Paulus mit den Geschwistern dort verbunden war und dass sie sich damals in einem guten geistlichen Zustand befanden. Umso mehr muss es Paulus wehgetan haben, dass gerade diese Gläubigen sich von ihm abgewandt hatten. Dass sie sich von Paulus abwandten, bedeutet nicht, dass sie den christlichen Glauben aufgegeben hatten, sondern dass sie nicht länger bereit waren, sich mit dem gefangenen Apostel in Rom zu identifizieren. Die Vorbehalte gegen Paulus mögen in seiner Person oder in seiner Lehre ihre Ursache gehabt haben. Wir können es nicht mit Sicherheit sagen.

Im krassen Gegensatz dazu wird Onesiphorus erwähnt. Er war von einem ganz anderen „Charakter“ als diejenigen, die sich von Paulus abwandten. Er schämte sich nicht und kümmerte sich rührend um den gefangenen Apostel, als er sich in Rom befand. Er war bereit, gegen den Strom der gängigen Meinung unter den Gläubigen zu schwimmen und machte aus seiner Wertschätzung für Paulus keinen Hehl.

Sein Verhalten ist lehrreich für uns. Heute kann sich zwar niemand mehr unmittelbar von Paulus abwenden, weil er nicht mehr lebt. Was wir jedoch sehr wohl tun können – und was leider immer wieder geschieht – ist, dass Gläubige sich von der Lehre distanzieren oder sogar abwenden, die Paulus gelehrt hat. Vielen erscheint das, was Paulus unter der Leitung des Heiligen Geistes geschrieben hat, zu „radikal“ oder zu „einseitig“. Deshalb wendet man sich von seinen Schriften und seiner Lehre ab. Dabei vergisst man, dass es um das Wort Gottes und die göttliche Lehre geht. Von Onesiphorus wollen wir lernen, dass es sich lohnt, gegen den Strom zu schwimmen und auch das ernst zu nehmen, was Gott uns durch Paulus hat aufschreiben lassen. Es ist ein Teil des Wortes Gottes, das zeitlos gültig ist und völlige Autorität besitzt.

Sein Dienst

Der Dienst von Onesiphorus wird in fünf Punkten beschrieben, die sich zum großen Teil auf die damalige Situation von Paulus als Gefangener in Rom bezogen:

  • Er hat Paulus erquickt.
  • Er hat sich der Kette von Paulus nicht geschämt.
  • Er hat Paulus gesucht.
  • Er hat Paulus gefunden.
  • Er hat viel in Ephesus gedient.

Die damalige Situation können wir nicht in allen Punkten unmittelbar auf uns heute übertragen. Als Christen, die in der westlichen Welt leben, werden wir in der Regel nur indirekt mit solchen konfrontiert, die ihres Glaubens wegen inhaftiert sind. Dennoch ist das, was Onesiphorus tat, lehrreich für uns.

Wie Onesiphorus können wir solche sein, die andere erquicken. Bruder Philemon ist uns darin ebenfalls ein leuchtendes Beispiel. Paulus stellt ihm folgendes Zeugnis aus: „Denn ich hatte große Freude und großen Trost durch deine Liebe, weil die Herzen der Heiligen durch dich, Bruder, erquickt worden sind“ (Phlm 7). Es gibt Glaubensgeschwister, die in schwierigen Umständen sind und Erquickung und Erfrischung nötig haben. Dazu benutzt Gott zum einen sein Wort (Ps 19,9) und zum anderen die Gläubigen. Onesiphorus ließ sich in diesem Dienst gebrauchen und er tat es, ohne sich der Kette (der Gefangenschaft) von Paulus zu schämen. Es mag Situationen geben, wo man sich ungern zu einem anderen bekennt, weil man vielleicht für sich selbst negative Folgen befürchtet. Von Onesiphorus können wir lernen, solche Bedenken über Bord zu werfen. Wenn Glaubensgeschwister Hilfe nötig haben, sollten wir sie ihnen jedenfalls liebevoll gewähren.

Im Fleiß seid nicht säumig, seid inbrünstig im Geist; dem Herrn dienend. In Hoffnung freut euch; in Trübsal harrt aus; im Gebet haltet an.

Römer 12,11.12

Onesiphorus war darüber hinaus ausdauernd. Er suchte Paulus und er fand ihn. Einen Gefangenen im damaligen Rom zu suchen war sicher nicht ganz einfach. Er gab nicht gleich auf. Wir denken an unseren Herrn, der ebenfalls sucht und findet. In seiner Gesinnung dürfen wir uns um andere kümmern, die unsere Hilfe brauchen. Ein solcher Dienst ist nicht „im Vorbeigehen“ getan, sondern erfordert manchmal Ausdauer, Mühe und Nachhaltigkeit. Onesiphorus suchte Paulus fleißig. Paulus zeigt nicht nur, was er tat, sondern die Art und Weise, wie er es tat. Und Onesiphorus beließ es anscheinend nicht bei einem einzigen Besuch, sondern er war im Fleiß nicht säumig, sondern inbrünstig und dem Herrn dienend (vgl. Röm 12,11). Das ist ein gutes Beispiel für uns.

Daher, meine geliebten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werk des Herrn, da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn.

1. Korinther 15,58

Schließlich erinnert Paulus daran, dass Onesiphorus in Ephesus viel gedient hatte. Wieder wird sein Fleiß unterstrichen. Worin der Dienst bestanden hat, wissen wir nicht. Was jedoch betont wird, ist die Tatsache, dass er viel gedient hat. Den Korinthern schreibt Paulus, dass sie allezeit überströmend in dem Werk des Herrn sein sollten (1. Kor 15,58). Genau das tat Onesiphorus. Er kümmerte sich nachhaltig um die Gläubigen in Ephesus und er tat es so, wie der Herr ihn dazu befähigt hatte. Ein solcher Dienst unter den Glaubenden ist überaus notwendig. Dabei geht es keineswegs nur um den „Dienst am Wort“, sondern um eine Vielzahl von Diensten, die nötig sind, damit die Glaubenden befestigt werden und geistlich wachsen können. In diesem Dienst kann sich jeder (!) vom Herrn gebrauchen lassen. Es ist häufig ein Dienst, der von anderen nicht – oder wenig – wahrgenommen wird. Die Tatsache, dass der Heilige Geist Paulus veranlasste, genau das zu schreiben, zeigt uns deutlich, dass Gott keinen einzigen Dienst vergisst. Er registriert alles, was zu seiner Ehre und zum Nutzen an anderen getan wird (vgl. Heb 6,10).

Denn Gott ist nicht ungerecht, euer Werk zu vergessen und die Liebe, die ihr für seinen Namen bewiesen habt, da ihr den Heiligen gedient habt und dient.

Hebräer 6,10

Sein Haus

Das Haus des Onesiphorus wird im 2. Timotheusbrief gleich zweimal erwähnt. Er war sicherlich verheiratet und hatte Kinder. Gemeinsam wohnten sie in Ephesus. Man kann aus dieser Aussage vorsichtig schlussfolgern, dass die Familie an dem Dienst des Ehemanns und Vaters Anteil nahm. Das war möglicherweise für sie nicht immer einfach. Paulus vergisst das nicht und wünscht dem Haus von Onesiphorus Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist Mitempfinden in einer schwierigen Situation. Worin diese schwierige Situation bestand, wissen wir nicht genau. Es ist möglich, dass Paulus an die Zeit zurückdenkt, wo Onesiphorus in Rom war und seine Familie ohne ihn in Ephesus auskommen musste. Es ist ebenso denkbar, dass es in Ephesus Geschwister gab, die dem Haus des Onesiphorus deshalb Schwierigkeiten machten, weil er sich zu Paulus bekannte, während sich ja die anderen von ihm abgewandt hatten. Jedenfalls ist Paulus in dieser Sache sehr sensibel und denkt nicht nur an Onesiphorus, sondern schließt sein Haus mit ein.

Das mag erneut nicht unmittelbar auf uns übertragbar sein. Dennoch ist es gut, wenn wir die Familien von Brüdern nicht vergessen, die im Dienst für ihren Herrn häufig – und manchmal sogar sehr lange – von zu Hause weg sind. Das ist vielfach mit besonderen Konflikten und immer mit Verzicht verbunden. Solche Geschwister brauchen die besondere Barmherzigkeit des Herrn, und es ist gut, wenn wir sie nicht vergessen und für sie beten.

Aus diesem Grund leide ich dies auch; aber ich schäme mich nicht, denn ich weiß, wem ich geglaubt habe, und bin überzeugt, dass er mächtig ist, das ihm von mir anvertraute Gut auf jenen Tag zu bewahren.

2. Timotheus 1,12

Sein Lohn am Ende

Paulus wünscht nicht nur der Familie des Onesiphorus Barmherzigkeit, sondern auch Onesiphorus selbst. Allerdings spricht er in seinem Fall nicht von der Gegenwart, sondern von der Zukunft. „Der Herr gebe ihm, dass er vonseiten des Herrn Barmherzigkeit finde an jenem Tag!“ Der „Tag“, von dem Paulus spricht, ist ohne Frage der Augenblick, wo er – wie wir alle – vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden müssen (vgl. 2. Tim 1,12; 4,8). Nun gibt es an diesem Tag keine notvollen Umstände mehr, die das göttliche Mitempfinden nötig machen. Dennoch wird der Lohn, den jeder Diener dort bekommt, eine besondere Barmherzigkeit des Herrn sein. Alles, was wir hier auf dieser Erde – manchmal in schwierigen Umständen – für Ihn und zum Nutzen für andere getan haben, wird seinen Lohn finden. Unsere Mühe im Werk des Herrn ist nicht vergeblich (1. Kor 15,58). Am Ende wird jedoch alles ein Triumph der göttlichen Gnade und Barmherzigkeit sein. Wenn wir einmal am Richterstuhl des Christus stehen und Lohn empfangen, dann ist das nicht unser eigenes Verdienst. Jeder bekommt seine Anerkennung, und dennoch wird alles zur Ehre des Herrn sein. Das wollen wir nicht vergessen.

Zusammenfassung:

Es ist nicht sehr viel, was uns über Onesiphorus gesagt wird. Doch das, was wir hören, macht uns Mut, unserem Herrn in seiner Gesinnung fleißig zur Verfügung zu stehen und wo nötig, auch gegen den Strom gängiger Meinungen zu schwimmen. Es lohnt sich. Nichts, was aus Liebe zu unserem Herrn und für andere getan wird, ist umsonst. Am Richterstuhl des Christus wird es dafür Lohn geben.

 

Ernst-August Bremicker

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2018, Heft 2, Seite 15

Bibelstellen: 2. Timotheus 1,16-18; 4,9; Römer 12,11.12; Hebräer 6,10

Stichwörter: Diener, Dienst, Onesiphorus, Paulus