Biblische Lebensbilder

Rizpa – die große Kämpferin

Rizpa, die Tochter Ajas, ist eine Nebenfrau Sauls. Sie haben zwei gemeinsame Söhne. Ihr Leben mit dem cholerischen und von Dämonen geplagten König ist sicher nicht einfach.

Nach Sauls Tod greift der rücksichtslose Heeroberste Abner nach ihr. Als Isboseth, ein Sohn Sauls und dessen Thronfolger, ihn auf dieses Unrecht hinweist und damit seine Loyalität offen infrage stellt, antwortet Abner barsch und kündigt ihm die Gefolgschaft. Bezeichnenderweise vermeidet er es, den Namen Rizpa in den Mund zu nehmen, und nennt sie nur „diese Frau“ (2. Sam 3,6-11). Er war ja auch nur deshalb „zu ihr eingegangen“, weil er seinen Machtanspruch dokumentieren wollte (vgl. 2. Sam 16,22; 1. Kön 2,22).

Danach wird Rizpa noch einmal in der Schrift erwähnt. Diesmal ist sie aktiv Handelnde und wir erfahren etwas von dem, was sie in aller Öffentlichkeit getan hat (2. Sam 21,1-14).

Die Blutschuld

Im dritten Jahr einer Hungersnot sucht David das Angesicht des HERRN, um zu erfahren, warum dieses Leid über das Volk gekommen ist. Die göttliche Antwort lautet: weil Saul und sein Haus die Gibeoniter getötet haben (2. Sam 21,1.2). Saul wollte das Volk Gottes stärken, indem er ein heidnisches Element in seiner Mitte auslöschte. Er ignorierte aber in seinem fleischlichen Eifer, dass die Fürsten Israels unter Josua den Gibeonitern in Gottes Namen geschworen hatten, sie am Leben zu lassen (Jos 9,15).

Was ist naheliegender für David, als sich vor Gott angesichts der Blutschuld zu demütigen und Ihn zu fragen, was zu tun ist, damit Er sein Volk wieder segnen kann? Doch David befragt den Mund des Herrn nicht (vgl. Jos 9,14), sondern geht zu den Betroffenen – die das Geschehen mit dem Vergrößerungsglas ihrer Gefühle betrachten -, um zu hören, was sie als Sühnung fordern. In ihrer Gibeoniter-List geben sie eine verschwommene und gutklingende Antwort, worauf sich David zu dem Versprechen hinreißen lässt, alles zu tun, was sie möchten (2. Sam 21,3.4). Danach rücken sie mit der Sprache heraus: Sie wollen sieben erwachsene männliche Nachkommen Sauls töten und an einen Pfahl heften (2. Sam 21,5.6).

Die Gibeoniter nennen keine Namen von Schuldigen. Sie fordern keine Untersuchung. Sie verlangen einfach, dass sieben Personen, die zum Haus Sauls gehören, hingerichtet werden, unabhängig davon, ob Indizien für ihre Beteiligung an dem Verbrechen vorliegen. Diese Forderung ist ungerecht und unangemessen.

Die Hinrichtung

Im Gesetz Moses ist klar geregelt, dass Blutschuld nur durch den Tod der Schuldigen gesühnt werden kann und dass Söhne nicht für die Missetaten ihrer Väter hingerichtet werden dürfen (4. Mo 35,33.34; 5. Mo 24,16). Dennoch will David dem Ansinnen der Gibeoniter entsprechen. An Mephiboseth, den querschnittsgelähmten Sohn seines Freundes Jonathan, legt er seine Hand nicht, weil er Jonathan geschworen hat, seine Nachkommen zu schützen (2. Sam 21,7; 1. Sam 20,42). Aber sollte er nicht auch daran denken, dass er Saul unter Eid versprochen hat, dessen Nachfahren zu verschonen (1. Sam 24,21-23)? Jedenfalls wählt David die beiden Söhne Rizpas aus, die ja „nur“ eine Nebenfrau Sauls gewesen ist. Außerdem weiht er die fünf Söhne Merabs dem Tod¹. Hier mögen Rachegedanken eine Rolle gespielt haben, denn Merab war David von Saul versprochen und dann doch einem anderen Mann gegeben worden (1. Sam 18,17-19). Danach begeht David einen weiteren Fehler: Er lässt die Exekution durch die Gibeoniter ausführen (2. Sam 21,8.9). Die ignorieren prompt das Gesetz Moses und begraben die sieben Männer nicht am selben Tag, sondern lassen die Leichname hängen (5. Mo 21,22.23). Damit überliefern sie diese Männer einer Schande, die gegen Gottes Gedanken ist.

Der Kampf

In dieser traurigen Situation erscheint Rizpa. Sie nimmt ein Sacktuch und legt es auf den Felsen, wo ihre Söhne und Verwandten getötet worden sind (2. Sam 21,10). Tag und Nacht verteidigt sie die Leichname gegen gefräßige Tiere, um den Gehängten wenigstens diese Erniedrigung zu ersparen (vgl. Ps 79,2.3). Sie will, dass eine ehrenvolle Bestattung erlaubt wird. Dabei denkt sie sicher an Saul und seine mit ihm getöteten Söhne, die zunächst von den Philistern an eine Mauer geheftet, dann aber von den Bewohnern von Jabes-Gilead zu Grabe getragen worden sind (1. Sam 31,12.13; vgl. 2. Sam 2,4-7).

Rizpa kämpft todesmutig. Sie kämpft unermüdlich. Sie kämpft vermutlich eine längere Zeit². Sie kämpft trotz der Trauer, der Müdigkeit und der fortschreitenden Verwesung. Sie kämpft für eine scheinbare Nebensächlichkeit. Sie kämpft mutterseelenallein für ihre Söhne und Verwandten. Und sie kämpft für Gottes Volk. Denn solange die Gehängten das Land verunreinigen, wird Gott die Hungersnot nicht beenden. Schließlich kommt ein erfrischender Schauer über diese düstere Szene – ein Vorbote für das Ende der Hungersnot.

Die Bestattung

Endlich wird David berichtet, was Rizpa getan hat. Er reagiert sofort und lässt die Gebeine Sauls und Jonathans von Jabes-Gilead herbeibringen, um sie zusammen mit den Gebeinen der Gehängten in dem Familiengrab ihres Vorfahren Kis zu begraben (2. Sam 21,10-14). Damit zeigt David öffentlich, dass er kein Feind von Saul, dem Gesalbten des HERRN, ist. Jeder Argwohn gegen David von Sympathisanten der Saul-Dynastie wird so im Keim erstickt. Auch wenn die Gibeoniter vermutlich nicht glücklich über diese Tat Davids sind, so war dieser Akt der Ehrerbietung notwendig. Erst nachdem die Gehängten entsprechend den Vorschriften des Gesetzes begraben werden, lässt Gott sich für das Land erbitten.

Lektionen für uns

Wir können aus dieser Begebenheit und von Rizpa manches lernen. Zwei Schwerpunkte möchte ich setzen.

Erstens sehen wir die Liebe einer Mutter, die sich aufopferungsvoll für ihre Söhne einsetzt. Ihre Liebe ist stark, ausdauernd und belastbar. Rizpa, deren Namen „Glühkohle“ bedeutet, brennt in ihrer Liebe: „Die Liebe ist gewaltsam wie der Tod, hart wie der Scheol ihr Eifer; ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Jahs. Große Wasser vermögen nicht die Liebe auszulöschen, und Ströme überfluten sie nicht“ (Hld 8,6.7). – Was sind wir bereit, aus Liebe für unsere Kinder und für andere zu tun? Ertragen und erdulden wir alles? Bleiben wir hartnäckig wie die syrisch-phönizische Frau, die nicht ruhte, bis der Herr sich über ihre Tochter erbarmt hatte (Mt 15,21-28)?

Zweitens sehen wir, dass Rizpa mit ihrem Mut dafür sorgt, dass wieder Segen über Israel kommt. – Auch heute gibt es inmitten des Volkes Gottes böse Dinge, die nicht bereinigt worden sind und derentwegen spürbar der Segen Gottes fehlt. Nach einer Phase der Gleichgültigkeit wird dann vielleicht eine Schärfe und Härte gegenüber dem Bösen an den Tag gelegt, die über das rechte Maß hinausgeht.

So war es bei den Korinthern, die zunächst nicht Leid über eine böse Sache trugen und es versäumten, zu handeln (1. Kor 5,1.2).Einige Zeit später aber, nachdem sie den Bösen aus ihrer Mitte hinausgetan hatten, ignorierten sie zunächst die Zeichen der Zeichen und gingen über eine genügende Strafe hinaus. Der Apostel Paulus schrieb ihnen: „Wenn aber jemand traurig gemacht hat, so hat er nicht mich traurig gemacht, sondern in gewissem Maß (damit ich nicht beschwere) euch alle. Genügend ist einem solchen diese Strafe, die von den Vielen ist, so dass ihr im Gegenteil vielmehr vergeben und ermuntern solltet, damit nicht etwa ein solcher durch die übermäßige Traurigkeit verschlungen werde. Darum ermahne ich euch, ihm gegenüber Liebe zu üben“ (2. Kor 2,5-8).

Zucht muss stets in der rechten Haltung und in Übereinstimmung mit dem Wort und Wesen Gottes geschehen, wenn wir mit seinem Segen rechnen wollen. Wo übertriebene Härte und Rachegedanken zum Vorschein kommen, ist der Dienst einer Rizpa notwendig, wodurch alle Einflüsse verjagt werden, die einen Schatten auf Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit werfen.³ Eine einzige Person, das sehen wir am Beispiel Rizpas, kann durch Taten der Liebe die Rückkehr zum Wort Gottes und einen großen Segen bewirken.

Und sie ließ die Vögel des Himmels nicht auf ihnen ruhen bei Tag noch die Tiere des Feldes bei Nacht. Und es wurde David berichtet, was Rizpa, die Tochter Ajas, die Nebenfrau Sauls, getan hatte. Da ging David hin … Und danach ließ Gott sich für das Land erbitten.

*2. Samuel 21,10-12.14


FN 1: In 2. Samuel 21,8 ist wahrscheinlich Merab, die Schwester Michals, gemeint. Siehe dazu die Fußnote in der Elberfelder Übersetzung.

FN 2: Die Hinrichtung erfolgte im Frühjahr (2. Sam 21,9). Während der Sommerzeit gibt es in Israel normalerweise kaum Niederschläge, aber sie blieb, „bis das Wasser vom Himmel … troff“.

FN 3: Es besteht natürlich auch die Gefahr, dass wir in der Ausübung der Zucht hinter dem zurückbleiben, was Gottes Wort lehrt. Wir wollen ferner bedenken, dass Freunde oder Verwandte nicht unter dem Deckmantel der Liebe eine notwendige und biblische Zucht untergraben dürfen.

Gerrid Setzer

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2020, Heft 10, Seite 22

Bibelstellen: 2. Samuel 21,1-14; 3,6-11; 16,22; 1. Könige 2,22; 5. Mose 21,22.23; u. a.;

Stichwörter: Aufopferung, Barmherzigkeit, Blutschuld, Zucht