Gott / Jesus Christus

Weinen und Jubel

Er geht hin unter Weinen und trägt den Samen zur Aussaat; er kommt heim mit Jubel und trägt seine Garben“ (Ps 126,6).

Bei Psalm 126 fällt auf, dass die Erzählperspektive am Ende des Psalms wechselt. Die ersten Verse sind in der „Wir-Form“ geschrieben. Diese Perspektive schildert aus Sicht der Erzähler nicht nur das eigentliche Geschehen, sondern auch persönliche Empfindungen. Der letzte Vers ist aus der Perspektive eines neutralen Erzählers geschrieben, der nur beschreibt, was äußerlich wahrnehmbar ist, ohne dies zu bewerten oder zu kommentieren.

In diesem Psalm geht es anscheinend um den Jubel der Juden, die unter Serubbabel und Esra aus der babylonischen Gefangenschaft nach Jerusalem zurückkehrten, nachdem sie 70 Jahre in Gefangenschaft an den Flüssen Babylons gesessen und bei der Erinnerung an Jerusalem geweint hatten. Außerdem weist der Psalm auf die Zeit hin, wenn sich die Tränen des jüdischen Überrests durch die Erscheinung des Messias in Jubel verwandeln und ganz Israel gerettet werden wird. Doch der Vers 6 nimmt eine Sonderstellung ein, weil eine Person vorgestellt wird, die mit „Er“ bezeichnet wird. Diese Person soll offenbar in den Mittelpunkt gerückt werden – es ist die Person Christi. Darum wollen wir uns näher mit diesem Vers beschäftigen.

1. „Er geht hin …“

Dieses „Hingehen“ lässt uns an das Kommen des Herrn Jesus in Niedrigkeit denken: „Da sprach ich: Siehe, ich komme; in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben“ (Ps 40,8). So wie Joseph sich senden ließ und sich auf den Weg machte, um nach seinen Brüdern zu sehen (1. Mo 37,12 ff.), so kam der Herr Jesus auf die Erde, um nach seinem Volk, und letztlich nach allen Menschen, „zu sehen“. Der ewige Sohn, durch den und für den alle Dinge geschaffen sind (Kol 1,16), kam aus der Herrlichkeit des Himmels auf die Erde, machte sich selbst zu nichts (Phil 2,7), um seinen Weg zum Kreuz von Golgatha zu gehen. Das tat Er freiwillig, aus Liebe zu seinem Gott und Vater, aus Liebe zu dir und zu mir.

2. „… unter Weinen …“

Der Weg des Herrn Jesus auf der Erde war ein Weg voll Leiden. Er litt, weil Er mit dem unsäglichen Elend konfrontiert wurde, in dem Menschen sich befinden. Er litt, weil die verlorenen Menschen Ihn verwarfen. Weil sein Volk, zu dem Er als rechtmäßiger König gekommen war, Ihn ablehnte. In der Stunde der Gewalt der Finsternis litt Er von Seiten der Menschen, als sie ihre ganze Bosheit an Ihm ausließen, Ihn banden, verspotteten, schlugen, anspien, falsch verurteilten, geißelten, Ihm eine Dornenkrone aufsetzten, Ihn kreuzigten und sogar dann noch verhöhnten. Er litt von Seiten des heiligen und gerechten Gottes in den drei Stunden der Finsternis, als Er mit jeder einzelnen unserer Sünden vor Gott trat und sich dafür strafen und schlagen ließ. Schließlich erlebte er die „Leiden des Todes“ (Heb 2,9). Der Herr Jesus wusste, welche Leiden Ihn erwarteten. Und trotzdem ging Er diesen Weg. Darauf weist das „Weinen“ in diesem Vers hin.

3. „… und trägt den Samen zur Aussaat.“

Saatgut muss in die Erde fallen, um neues Leben, neue Frucht hervorzubringen. Das geht aber nur, wenn das Samenkorn dabei stirbt. Vergleichen wir den hier beschriebenen Vorgang mit Johannes 12,24, wo der Herr Jesus von sich als dem Weizenkorn spricht, dann erhält diese Aussage eine tiefe Bedeutung. Einerseits ist Er das Samenkorn, weil Er selbst sterben musste. Und nur weil Er starb, konnte die Frucht hervorkommen. Andererseits ist Er auch der Sämann, der den Samen selbst ausgesät hat: Er gab sich selbst in den Tod (vgl. Joh 10,17). Nur weil Er sich freiwillig in den Tod gab, konnten wir ewiges Leben haben.

4. „Er kommt heim mit Jubel …“

Josephs Weg führte von Leiden zur Herrlichkeit: Nachdem er lange Zeit im Gefängnis gelitten hatte, holte ihn der Pharao in seinen Palast. Dort gab ihm der Pharao seinen Siegelring, Kleider aus Byssus, eine goldene Kette und ließ ihn auf seinem zweiten Wagen fahren (1. Mo 41,42-43). Für Joseph war es eine Erhöhung in den höchsten Adelsstand – und er ist damit ein schönes Vorbild auf den Herrn Jesus. Nachdem dieser sein Werk auf Golgatha vollbracht hatte und Gott Ihn aus dem Tod auferweckt hatte, kehrte Er in die Herrlichkeit des Himmels zurück und setzte sich zur Rechten Gottes (Mk 16,19). Schon Petrus weist in der ersten christlichen Rede darauf hin: „Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist …“ (Apg 2,33). In Kapitel 1,3 des Hebräerbriefs lesen wir: „… nachdem er durch sich selbst die Reinigung von den Sünden bewirkt, sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe“. Was für eine „Heimkehr“, was für ein Jubel für Ihn, der jetzt als verherrlichter Mensch einen Platz der höchsten Ehre einnimmt!

5. „… und trägt seine Garben.“

Der letzte Teil dieses Verses ist von ganz besonderer Schönheit. Gott gab dem Herrn Jesus nicht nur den Platz zu seiner Rechten. Er gab Ihm auch Lohn, Lohn für seine Mühe. In Jesaja 53,11 lesen wir: „Von der Mühsal
seiner Seele wird er Frucht sehen und sich sättigen.“ In diesem Psalm ist von Garben die Rede, die der Sämann bei der Heimkehr trägt. Dabei dürfen wir natürlich zunächst an den gläubigen Überrest denken, der dann „sein Volk“ ist (Sach 13,9). Aber es geht noch darüber hinaus. In dem Gleichnis in Matthäus 13,44-46 redet der Herr von sich als dem Kaufmann, der alles verkaufte, was er hatte, um mit dem Erlös, die wunderbare Perle – ein Bild von der Versammlung – zu kaufen. In dem Gleichnis lesen wir allerdings nicht, was der Kaufmann mit der Perle machte, als er sie endlich besaß. Psalm 126 zeigt, dass der Heiland die Gläubigen als „Garbe“ heimtragen wird. Dort im Haus seines Vaters, in der die Atmosphäre der Liebe zwischen Vater und Sohn alles ausfüllt, wird Er ewig mit ihnen leben und sie als Frucht seiner Mühsal genießen. Aber schon jetzt freut Er sich, wenn seine Erlösten in ihrem Leben eine Antwort auf seine Liebe und seine Leiden geben. Das alles gehört zu der vor Ihm liegenden Freude, von der Hebräer 12,2 spricht: „… der, die Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.“

Reif die Garben, voll die Ähren,
neigt sich bald die edle Frucht.
Dass die Scheunen voll einst wären,
hast Du, Sämann, sie gesucht.
Groß wird Deine Freude sein,
bringst Du, Herr, die Garben ein;
mit der Frucht, der reichen, schweren,
wirst Du jubelnd heimwärts kehren!
(Geistliche Lieder, 198, Str. 3)

Henning Panthel

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2020, Heft 3, Seite 14

Bibelstellen: Psalm 126,6; Hebräer 12,2; Jesaja 53,11;

Stichwörter: Aussaat, Garben, Jubel, Tränen