Biblische Lebensbilder

Von Gott zubereitet – das Beispiel Moses

Wer eine Aufgabe übernimmt, benötigt dazu eine gewisse Vorbereitung. Das ist im geistlichen Leben nicht anders als im natürlichen Leben. Anhand des Beispiels von Mose wollen wir uns ein wenig mit diesem Thema beschäftigen.

40 Jahre in Ägypten – 40 Jahre in der Wüste

Mose brachte die ersten 40 Jahre seines Lebens im Haus seiner Eltern und dann in Ägypten zu. Seine „Grundausbildung“ bekam er als kleines Kind bei seinen Eltern, und das hat ihn für sein Leben geprägt. Etwas größer geworden wohnte er danach viele Jahre im Palast des Pharaos und wurde dort in der Weisheit der Ägypter ausgebildet. Er erfuhr eine Ausbildung, die ohne Frage hohen Standards entsprach. Mose war „mächtig in seinen Worten und Werken“ (Apg 7,22). Doch das qualifizierte ihn keineswegs für die große Aufgabe, die Gott ihm geben wollte, das Volk Israel aus Ägypten in das Land Kanaan zu bringen. Es folgten weitere 40 Jahre, die Mose in Midian zubrachte. Dort wurde er ein Schafhirte und brachte einen Teil seiner Zeit in der Wüste zu (2. Mo 3,1).

Der Kontrast zwischen dem Leben am Hof des Königs von Ägypten und dem eines Schafhirten in der Wüste könnte kaum größer sein. Mose befand sich jetzt in einem öden Land und war mit dem beschäftigt, was den Ägyptern ein Gräuel war (vgl. 1. Mo 46,34). Aus der Betriebsamkeit dieser Welt kam Mose in die Einsamkeit und Stille der Wüste. Ehre, Reichtum und Vergnügen tauschte er mit einem einfachen und entbehrungsreichen Leben in Midian.

Ungefähr 40 Jahre lang währte auch diese Zeit. Aus 2. Mose 7,7 entnehmen wir, dass Mose 80 Jahre alt war, als er vor dem Pharao stand und den Auszug des Volkes forderte. Ähnlich wie über die Zeitperiode in Ägypten berichtet der Bibeltext über diese zweite Etappe im Leben Moses relativ wenig. Dennoch war es eine wichtige Zeitperiode, in der Gottes Knecht erprobt und zubereitet wurde. Erst am Ende dieser Zeit bekam Mose seinen Auftrag von Gott. Die Zahl 40 ist in der Bibel an manchen Stellen eine Zahl der Prüfung oder Erprobung. Als Beispiel erinnern wir uns an die 40 Jahre Wüstenwanderung des Volkes Israel in der Wüste oder die 40 Tage, in denen unser Herr in der Wüste vom Teufel versucht wurde.

In der Schule Gottes

Es sollte noch dauern, bis Gottes Zeit zur Rettung des Volkes gekommen sein würde. Bisher war weder das Volk bereit gewesen, den Retter anzunehmen, noch war der ausersehene Führer auf seine Aufgabe vorbereitet. Mose musste zum einen sich selbst kennenlernen und zum anderen musste er seinen Gott kennenlernen. Beides geschah in der Zeit in der Wüste. Das, was er in Ägypten gelernt hatte, reichte nicht aus. Mose musste in der Schule Gottes lernen, was die Hochschulen in Ägypten ihn nicht lehren konnten. Darin liegt zunächst eine praktische Lektion für uns, denn bis heute ist es so, dass Gott erstens nicht auf menschliche Weisheit angewiesen ist und dass zweitens zum Dienst für den Herrn eine Zubereitung erforderlich ist.

Paulus schreibt den Korinthern ausführlich über den „Wert“ menschlicher Weisheit. Ich möchte zwei Verse zitieren: „Wo ist der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Schulstreiter dieses Zeitlaufs? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“ (1. Kor 1,20). „Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott; denn es steht geschrieben: Der die Weisen fängt in ihrer List“ (1. Kor 3,19). Wir müssen lernen, dass weder menschliche Ausbildung noch menschliche Führungsmethoden ausreichend sind, im Volk Gottes Führungsverantwortung zu übernehmen. Gott möchte „Gefäße“ haben, die dem Hausherrn nützlich sind (2. Tim 2,21). Er möchte Diener haben, die ein Vorbild der Herde sind (1. Pet 5,3). Solche „Gefäße“ und Diener formt Gott sich selbst heran und Er tut es auf eine sehr individuelle Weise. Das mag der Grund sein, warum die Bibel über diese Zeit der Zubereitung von Dienern ziemlich wenig sagt. Bei Mose schweigt der göttliche Bericht darüber. Bei Paulus ist es ähnlich. Als weitere Beispiele können Johannes der Täufer oder David genannt werden. Wir lernen, dass in vielen Fällen eine Zubereitung in der Stille dem öffentlichen Dienst vorangeht. Bei Mose dauerte diese Zeit in etwa so lange wie die Zeit des öffentlichen Dienstes (jeweils 40 Jahre).

Ein Parallelbeispiel zu Mose ist Paulus. Er war ebenfalls sehr gebildet und intelligent und musste lernen, dass Gott seine menschliche Schulung und Weisheit nicht gebrauchen wollte. In Philipper 3 schreibt er ausführlich darüber, welchen Stellenwert all das, was ihm einmal wichtig war, noch für ihn hatte. Er achtete es für „Verlust“ und „Dreck“ (Phil 3,8). Es mag durchaus sein, dass Gott natürlich begabte und intelligente Menschen in seinem Dienst gebraucht, doch gerade solche Leute müssen lernen, dass es nicht die menschliche Weisheit ist, auf die Gott angewiesen ist. Im Gegenteil – Menschen sind leicht geneigt, diesen Dingen große Bedeutung beizumessen. Als der Herr Jesus im Dienst auftrat, staunten die Menschen und fragten sich: „Wie besitzt dieser Gelehrsamkeit, da er doch nicht gelernt hat?“ (Joh 7,15). Ähnlich erging es den Jüngern: „Als sie aber die Freimütigkeit des Petrus und Johannes sahen und merkten, dass es ungelehrte und ungebildete Leute waren, verwunderten sie sich; und sie erkannten sie, dass sie mit Jesus gewesen waren“ (Apg 4,13).

Was ein Schafhirte lernt

Mose lernte also in der Schule Gottes das, was er in Ägypten nicht lernen konnte. Er wurde ein Hirte, der Schafe hütete. Auf den ersten Blick mag das eine seltsame „Vorbereitung“ sein. Doch gerade als Hirte lernte Mose das, was er in Ägypten nicht lernen konnte. David begann seine „Laufbahn“ ebenfalls als einfacher Hirte. Als zukünftiger Erlöser des Volkes musste Mose ein Herz voller Liebe zu den Schwachen und Abhängigen lernen. Führungsverantwortung zu haben ist nicht in erster Linie eine Frage der Autorität, sondern vielmehr der Liebe und Zuneigung zu denen, die geführt werden. Wer führen will, muss vorher lernen zu dienen. Wer führen will, muss vorher lernen, sich führen zu lassen. Petrus ist ebenfalls ein gutes Beispiel dafür. Er war – von Natur – eine Führerpersönlichkeit und sollte später andere auffordern, ebenfalls zu führen (1. Pet 5,2). Vorher jedoch bekommt er selbst vom Herrn den Auftrag, seine Schafe zu hüten und zu weiden (Joh 21,15-17).

Vier Lektionen

Wir wollen das, was Mose in der Wüste lernte, in vier Punkten zusammenfassen und auf uns anwenden:

1. Mose musste lernen, auf Gottes Zeit zu warten. In Ägypten war er zu eilig gewesen und jetzt musste er 40 Jahre lang bei den Schafen lernen, was Geduld bedeutet. Bis heute gilt auch im Dienst für den Herrn: „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes 28,16). Eile hat sich im Dienst für den Herrn selten als gut erwiesen. Mose musste lernen, auf die Zeit Gottes zu warten. Das müssen wir ebenfalls lernen. In 1. Timotheus 3,6 warnt Paulus davor, mit dem öffentlichen Dienst zu früh zu beginnen. Wer den Wunsch hat, dem Herrn zu dienen, wird dazu immer Gelegenheit haben, dennoch sollten wir unserem Gott die Zeit lassen, uns in der Stille genügend zuzubereiten. Das gilt grundsätzlich, und es gilt ganz besonders für jede konkrete Aufgabe, die wir übernehmen.

2. Mose musste lernen, sich nicht auf sein eigenes Können und menschliche Weisheit zu verlassen, sondern ganz von Gott selbst abhängig zu sein. In Ägypten hatte er in eigener Kraft versucht, etwas zu bewegen. Die Zeit in der Wüste lehrte ihn, ganz auf Gott zu vertrauen. Er hatte verstanden, dass menschliche Kraft, Methoden und Hilfsmittel nicht zum Erfolg führen können. Paulus hatte das ebenfalls gelernt. Er wusste, dass er nur dann stark sein konnte, wenn er nichts von sich selbst hielt: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2. Kor 12,10). Das war die Lektion, die auch Gideon gut verstanden hatte, der nichts von sich selbst hielt (Ri 6,15).

3. Mose hatte Gott in seiner Heiligkeit kennengelernt. Bevor Mose ein brauchbarer Diener wurde, hatte Gott sich ihm im brennenden Dornbusch offenbart. Dieses Bild ist unbedingt mit der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes verknüpft. Eine solche Erkenntnis Gottes ist Voraussetzung für unseren Dienst. Bei Paulus war das nicht anders. Als er vor den Toren von Damaskus auf die Erde fiel und die Frage stellt: „Wer bist du, Herr?“ kam die Antwort: „Ich bin Jesus …“ (Apg 9,5). Später schreibt er selbst darüber: „Als es aber Gott, der mich von meiner Mutter Leib an abgesondert und durch seine Gnade berufen hat, wohlgefiel, seinen Sohn in mir zu offenbaren …“ (Gal 1,15.16). Wir brauchen für jeden Dienst ein tiefes Empfinden der Heiligkeit und Herrlichkeit unseres Herrn. Das erkennen wir z. B. bei dem Propheten Jesaja. Bevor er im Auftrag Gottes gesandt wurde, erlebte er Folgendes: „Im Todesjahr des Königs Ussija, da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron, und seine Schleppen füllten den Tempel“ (Jes 6,1). Wir dienen einem Herrn, der heilig und herrlich ist. Das dürfen wir nicht vergessen.

4. Mose hatte Gott in seiner Gnade und Barmherzigkeit kennengelernt. So sehr die Szene des brennenden Busches einerseits von der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes spricht, macht sie andererseits klar, dass Gott ein Gott der Barmherzigkeit und Gnade ist. Davon müssen wir ebenfalls durchdrungen sein, wenn wir etwas für Ihn tun wollen. Gott stellt sich Mose als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vor. Als Gott Abrahams war Er derjenige, der Abraham aus Gnade auserwählt hatte. Als Gott Isaaks war Er derjenige, der – im Gleichnis – Leben aus dem Tod hervorbrachte. Als Gott Jakobs schließlich hatte Er sich als barmherzig und langmütig erwiesen. So handelt Gott bis heute auch mit uns. Er hat uns in Christus auserwählt vor Grundlegung der Welt. In Christus hat Er uns zu einem neuen Menschen gemacht und mit dem Auferstandenen verbunden. Und als der Gott Jakobs hat Er unendliche Geduld mit uns. Der Psalmdichter sagt: „Der Herr wird es für mich vollenden. Herr, deine Güte währt ewig. Lass nicht die Werke deiner Hände!“ (Ps 138,8). Dieses Bewusstsein ist für jeden Dienst wichtig.

Fazit

Mose hatte die lange Zeit der Vorbereitung in der Wüste nötig. Die „Wüste“ ist – in der geistlichen Anwendung – ein Ort, wo wir die Dinge dieser Welt, die Einflüsse, die Menschen und vor allem das „eigene Ich“ in einem ganz anderen Licht sehen. Der Lärm der Welt und das Getriebe des Alltags weichen einem großen Schweigen und einer großen Ruhe. In der „Wüste“ gibt es nichts, was uns ablenken kann. Und es wird dem Feind schwerfallen, uns den Sand der Wüste zu „vergolden“. Wer so in der „Wüste“ von Gott selbst zubereitet worden ist, kann ein brauchbares „Werkzeug“ in der Hand Gottes sein.

Und er sprach: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verbarg Mose sein Angesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
*2. Mose 3,6

Ernst-August Bremicker

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2020, Heft 8, Seite 8

Bibelstellen: 2. Mose 3,1.6; 1. Mose 46,34; Apostelgeschichte 7,22; 1. Korinther 1,20; 3,19; u. a.;

Stichwörter: Schafhirte, Schule Gottes, Weisheit, Wüste, Zubereitung