Biblische Lebensbilder

Schekanja

Es gibt in der Bibel Männer und Frauen, die uns weniger gut bekannt sind. Die meisten Bibelleser werden vermutlich mit dem Namen Schekanja auf den ersten Blick wenig anfangen können. Er wird in Esra 10,2 genannt. Dort tritt er in einer sehr schwierigen und kritischen Zeit des Volkes Gottes für einen kurzen Augenblick in Aktion und hält eine kurze und doch sehr inhaltsreiche Ansprache. Damit wir seine Worte richtig verstehen und anwenden, müssen wir zunächst den Hintergrund besehen.

Der historische Hintergrund und seine Anwendung auf uns

Nach 70 Jahren Gefangenschaft in Babel kehrte ein kleiner Teil der Juden nach Jerusalem zurück. Diese Rückkehr fand in drei Etappen statt. Im Buch Esra werden die erste und zweite Rückkehr von Exiljuden beschrieben, im Buch Nehemia die dritte Rückführung.

Die zweite Rückkehr fand unter dem Priester und Schriftgelehrten Esra statt. Er war mit der Absicht nach Jerusalem gekommen, in Israel Satzung und Recht zu lehren (Esra 7,10). Darüber hinaus hatte er von dem König den Auftrag bekommen, „eine Untersuchung über Juda und Jerusalem anzustellen, nach dem Gesetz deines Gottes, das in deiner Hand ist“ (Esra 7,14). Doch kaum war er in Jerusalem angekommen, wurde ihm ein großer Missstand berichtet, denn die Juden dort hatten sich durch eheliche Verbindungen mit den umliegenden Völkern vermischt (Esra 9,1.2). Dieses Verhalten war in den Augen Gottes abscheulich, denn Er hatte seinem Volk das ausdrücklich verboten (vgl. z. B. 5. Mo 7,3-6). Esra 9 zeigt uns, wie sehr Esra darunter litt und wie er im Gebet darüber vor seinem Gott trauerte, indem er sich mit dieser Sünde des Volkes identifizierte und sie zu seiner eigenen Sünde machte.

Für uns liegt darin eine wichtige Unterweisung. Man kann sich äußerlich am richtigen Ort befinden und doch zugleich Verbindungen mit der Welt eingehen, die Gott verunehren und unser Glaubensleben lähmen. Die Gefahr der Vermischung mit der uns umgebenden Welt ist immer groß. Gott warnt uns ausdrücklich davor, uns vom Zeitgeist der Welt prägen zu lassen (Röm 12,2), diese Welt zu lieben (1. Joh 2,15) und ein Freund der Welt zu sein (Jak 4,4). Paulus schreibt darüber vor allem in 2. Korinther 6,14-18 sehr eindringlich und fordert die Gläubigen zur Absonderung von Menschen auf, die unrein und böse sind.

Ohne Trennung vom Bösen ist ein Leben der Hingabe an Gott unmöglich. Bewusste und geduldete Verbindung mit Bösen wird uns immer selbst verunreinigen. Esra hatte das gut verstanden und deshalb trauerte er vor seinem Gott und mit ihm viele andere. Wir lesen in Esra 10,1: „Und als Esra betete und als er bekannte, weinend und vor dem Haus Gottes hingestreckt, versammelte sich zu ihm aus Israel eine sehr große Versammlung von Männern und Frauen und Kindern; denn das Volk weinte sehr.“

Schekanjas Auftritt

Genau in dieser Situation tritt Schekanja auf, macht sich zum Sprecher und richtet folgende Botschaft an Esra:

„Wir haben treulos gehandelt gegen unseren Gott und haben fremde Frauen aus den Völkern des Landes heimgeführt; nun aber ist noch Hoffnung für Israel bezüglich dieser Sache. So lasst uns jetzt einen Bund schließen mit unserem Gott, dass wir alle Frauen und die, die von ihnen geboren sind, hinaustun, nach dem Rat meines Herrn und derer, die vor dem Gebot unseres Gottes zittern; und es soll nach dem Gesetz gehandelt werden. Steh auf, denn dir obliegt die Sache; und wir werden mit dir sein. Sei stark und handle!“ (Esra 10,2-4).

Das Verhalten dieses Mannes ist vorbildlich. Es wird erstens deutlich, dass er nicht in eigener Kraft auftritt und redet, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes und zum Wohl des Volkes Gottes. Seine Botschaft hat Gewicht und erreicht Herz und Gewissen. Zweitens nimmt er keine Rücksicht auf die eigene Familie, denn wenn man davon ausgeht, dass der in Esra 10,26 genannte Jechiel der Vater Schekanjas war, dann war seine eigene Familie in der Sünde der Vermischung betroffen. Drittens zeigt der weitere Verlauf, dass Schekanja sich in dieser Sache nicht selbst in den Vordergrund schieben will. Er überlässt das Handeln Esra und ergreift keine eigenmächtige Handlungsinitiative.

Ähnlich wie in 2. Chronika 20,14 benutzt Gott hier einen Mann aus dem Volk, um seine Botschaft auszurichten. Wir lernen, dass Gott über seine Diener verfügt, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtige Botschaft auszurichten. Oft können es ansonsten unbekannte Diener Gottes sein, die Er dazu befähigt. Obwohl Esra durchweg derjenige ist, der handelt, benutzt Gott hier einen anderen, um Esra Mut zu machen.

Schekanjas Botschaft

Acht Dinge fallen in der kurzen Ansprache Schekanjas auf:

  1. Er macht sich – ebenso wie Esra in seinem Gebet – völlig eins mit denen, die gesündigt und verkehrt gehandelt hatten. Er stellt sich nicht über sie, sondern reiht sich in die Reihe der Übeltäter ein (vgl. die Gebetshaltung Daniels in Daniel 9,1-19). In 1. Korinther 5,2 weist Paulus die Korinther darauf hin, dass gerade diese innere Haltung der kollektiven Trauer bei ihnen gefehlt hatte. Wir lernen für uns, dass eine Sünde in einer örtlichen Versammlung immer die gesamte Versammlung betrifft. Wir sind in dem einen Leib miteinander verbunden und haben kein Recht, mit Fingern auf andere zu zeigen. Darüber hinaus sollten wir nie vergessen, dass wir selbst zu jedem Bösen fähig sind.
  2. Er umschreibt die Sünde nicht, sondern er nennt sie konkret beim Namen. Ein Sündenbekenntnis kann nie pauschal sein, sondern Gott erwartet, dass wir Fehlverhalten konkret einsehen und beim Namen nennen. Johannes schreibt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9). Es ist verhältnismäßig einfach, zuzugeben, dass wir alle Sünder sind und uns falsch verhalten. Doch Gott erwartet ein konkretes Bekenntnis dessen, was sündig ist. Das gilt für den Sünder, der sich zu Gott bekehrt ebenso wie für den Gläubigen, der in Sünde fällt.
  3. Er anerkennt, dass es eine Sünde gegen Gott ist, so wie jede Sünde – selbst dann, wenn sie sich gegen einen anderen Menschen richtet – immer zuerst gegen Gott ist. David schreibt in Psalm 51,6: „Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen; damit du gerechtfertigt wirst, wenn du redest, für rein befunden, wenn du richtest.“ David war auch an Menschen schuldig geworden, doch er erkannte, dass sich seine Sünde zuerst gegen Gott richtete (vgl. Jer 14,7, Dan 9,7.8). Das gibt jeder Sünde einen besonders ernsten Charakter. Wir sündigen zuerst gegen den, der zu rein von Augen ist, um Böses zu sehen (Hab 1,13). Leider vergessen wir diesen Aspekt sehr häufig und bleiben dabei stehen, was Menschen durch Sünde angetan wird (was wir nicht verharmlosen sollten).
  4. Er setzt sein Vertrauen auf Gott und spricht von Hoffnung. Vielleicht kannte er die Aussage des Psalmdichters aus Psalm 146,5: „Glückselig der, dessen Hilfe der Gott Jakobs, dessen Hoffnung auf den HERRN, seinen Gott, ist!“ Es gibt für einen Gläubigen keine Situation, die hoffnungslos und ohne Ausweg ist. Das gilt auch dann, wenn kollektive Schuld vorhanden ist. Es gibt immer göttliches Licht, das in die Dunkelheit fällt. Gott weist uns einen Weg, wenn wir mit Ihm rechnen und Ihm vertrauen. Die erste Voraussetzung dazu ist, dass wir unsere Sünde bekennen. „Wer seine Übertretungen verbirgt, wird kein Gelingen haben; wer sie aber bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen“ (Spr 28,13). Das führt direkt zu dem nächsten Punkt.
  5. Er fordert einen Bund, d. h., eine bindende Verpflichtung von Seiten der Juden. Dieser Bund hat nichts mit den Bündnissen zu tun, die Gott mit Menschen geschlossen hat. Es geht hier um eine Verpflichtung von Menschen Gott gegenüber. Diese Verpflichtung bestand darin, die fremden Frauen und die von ihnen geborenen Kinder zu entlassen – das heißt in einer konkreten Maßnahme (vgl. 1. Mo 35,1-5). Das ist die zweite Voraussetzung für Vergebung. Wir können nur dann mit Gottes vergebender Barmherzigkeit rechnen, wenn wir bereit sind, unsere Sünde zu lassen. Dass wir dabei nicht perfekt sind, ist nur zu wahr. Salomo schreibt. „Denn der Gerechte fällt siebenmal …“, und fügt hinzu: „… und steht wieder auf“ (Spr 24,16). Für die Juden damals war es nicht einfach, diesen Bund zu erfüllen, denn sie mussten familiäre Bande zerschneiden. Dennoch war es unabdingbar, wenn Gott ihnen Gnade geben sollte.
  6. Er nennt als Grundlage dieser Verpflichtung das „Gebot unseres Gottes“. Es sollte genau so getan werden, wie Gott es im Gesetz gesagt hatte. Wir stehen heute nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade. Für uns gilt, dass das Wort Gottes Maßstab für unser Handeln ist – sei es persönlich oder kollektiv. Es besteht immer die Gefahr, dass wir etwas von dem Wort Gottes wegnehmen oder dass wir dem Wort Gottes eigene Gedanken oder gar „Vorschriften“ hinzufügen. Das erste wird uns liberal und lasch machen, das zweite führt zu einer unangemessenen Gesetzlichkeit. Nicht umsonst warnt Gott sein Volk mehrfach davor, nach rechts oder nach links abzuweichen (z. B. 5. Mo 5,32; Jos 23,6).
  7. Er fordert Esra zum Handeln auf. Trauer und Demütigung hat seine Zeit und wir müssen beidem Raum geben. Doch Handeln hat ebenfalls seine Zeit. Als Josua nach der Sünde Achans – die ebenfalls eine Sünde des ganzen Volkes gegen Gott war – trauernd auf der Erde lag, fordert Gott ihn auf: „Steh auf! Warum liegst du denn auf deinem Angesicht? … Steh auf, heilige das Volk“ (Jos 7,10.13). Es ist wichtig, das eine vom anderen zu unterscheiden und die richtige Zeit zu erkennen. Es hilft wenig, unser Fehlverhalten ständig zu beklagen (auch im Gebet), ohne innerlich bereit zu sein, die nötigen Maßnahmen einzuleiten, um es abzustellen. Der Bibelausleger H. Rossier schreibt dazu: „Die persönliche und gemeinschaftliche Demütigung ist der erste Schritt, doch weder der Einzelne, noch das Volk Gottes kann dabei stehen bleiben. Der Demütigung muss das Handeln folgen. Die Demütigung selbst ist noch nicht die Trennung vom Bösen. Sie ist der Weg dorthin und bereitet ihn vor. Andererseits – wenn es darum geht, einen schlechten Zustand zu heilen – wird jedes Handeln ohne vorherige Demütigung, so eifrig wir dabei sein mögen, nur zu neuen Ruinen führen. Wenn das Fleisch nicht durch Demütigung gerichtet wird, wird es sich selbst in der Frage der Trennung vom Bösen offen zeigen“.
  8. Er spricht Esra Mut und Unterstützung zu. Wir kennen die Aufforderung „stark zu sein“ als eine Aufforderung, die von Gott kommt (z. B. Jos 1,6.9.18), doch es gibt Beispiele, wo Menschen sie aussprechen (vgl. 1. Chr 28,20). Es ist gut, einander Mut zu machen. Schekanja mochte denken, dass es ihm – einem unbekannten Mann aus Gottes Volk – nicht zustand, einen solchen Gottesmann wie Esra zu ermutigen. Doch es zeigt sich, dass jeder Diener Gottes Ermutigung nötig hat. Am Ende des Römerbriefs erwähnt Paulus die Schwester und Dienerin Phöbe, die vielen ein Beistand war und er fügt hinzu: „auch mir selbst“ (Röm 16,1.2). Das ist eine besondere Ermutigung für Schwestern. Paulus hatte den Beistand und Zuspruch ebenso nötig wie jeder andere. Hinzu kommt, dass Schekanja nicht einmal direkt auf die Hilfe Gottes hinweist (die ohne Frage vorhanden war), sondern selbst Hilfe zusagt. Esra war in der Sache nicht allein. Andere würden ihn unterstützen.

Kein Widerspruch

Es fällt auf, dass am Ende seiner kurzen Ansprache niemand da ist, der den Worten Schekanjas widerspricht. Es gibt keine weiteren Wortmeldungen, keinen Widerspruch, keine Diskussion. Wir erleben es häufig, dass gerade in Zuchtfragen viel „Wortwechsel“ (Apg 15,7) und sogar „Wortstreit“ (2. Tim 2,14) entsteht. Wenn wir erkennen, dass Gott einen geistlichen Bruder wie Schekanja benutzt, um Licht auf eine Sache zu werfen, sollten wir dafür dankbar sein und nicht der Gefahr erliegen, durch weitere Diskussionen ein notwendiges Handeln zu erschweren. Im weiteren Verlauf geschieht es so, wie Schekanja vorgeschlagen hat.

Fazit

Das Beispiel Schekanjas macht uns Mut, uns ebenso zu verhalten. Voraussetzung dazu ist, dass wir in Gemeinschaft mit unserem Herrn leben und offene Augen für die Nöte und Notwendigkeiten im Volk Gottes haben. Dann können wir helfen, kollektive Missstände im Volk Gottes nicht nur zu bekennen, sondern mit Hilfe des Herrn dazu beitragen, sie tatsächlich abzustellen.

Und Schekanja, der Sohn Jechiels, von den Söhnen Elams, hob an und sprach zu Esra: Wir haben treulos gehandelt gegen unseren Gott … Steh auf, denn dir obliegt die Sache; und wir werden mit dir sein. Sei stark und handle!

*Esra 10,2.4

Ernst-August Bremicker

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2020, Heft 6, Seite 21

Bibelstellen: Esra 10,2-4; 7,10.14; 9,1.2; 2. Timotheus 2,14; u. a.

Stichwörter: Botschaft, Demütigung, Gehorsam, Missstände, Schekanja