Gott / Jesus Christus

Siehe, dein König kommt

Christus in Sacharja 9 – Teil 2

Fortsetzung von Heft 06/2020, Seite 16

Vers 9

„Frohlocke laut, Tochter Zion; jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König wird zu dir kommen: Gerecht und ein Retter ist er, demütig und auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen der Eselin“ (Sach 9,9).

Sacharja hatte berichtet, dass die feindlichen Nachbarvölker Israels besiegt werden würden (V. 1-8). Dieser Sieg würde so endgültig sein, dass Jerusalem nie mehr bedrängt werden würde. Wie würde ein Zuhörer sich wohl den kommenden Retter vorgestellt haben? Sicher als gewaltigen Feldherrn, hoch zu Ross, und gefolgt von einer riesigen Armee. Aber Sacharja malt ein ganz anderes Porträt des kommenden Königs: Er würde demütig sein und auf einem jungen Esel reiten (V. 9).

Eine messianische Zusage

Dass es sich bei dem oben zitierten Vers um eine messianische Prophezeiung handelt, hatten schon die jüdischen Rabbiner erkannt und mit bemerkenswerter Einstimmigkeit bezeugt. So ist es auch im Talmud festgehalten. Die Rabbiner zogen diesen Schluss – ganz richtig – aus den folgenden Versen („Herrschaft bis an die Enden der Erde“, etc.). Als Christen haben wir zusätzlich das Zeugnis des Neuen Testaments. Dieses bestätigt nicht nur, dass der Messias gemeint ist, sondern es sagt uns ganz klar, dass diese Prophezeiung sich teilweise schon erfüllt hat, und zwar als Christus in Jerusalem einzog.

Ist Vers 9 bereits erfüllt?

Beim Lesen von Vers 9 gewinnt man unmittelbar den Eindruck, dass Sacharja große Freude daran hat, den kommenden König anzukündigen. Er fordert auch die „Tochter Zions“ auf, sich zu freuen, ja, sogar zu „frohlocken“ und zu „jubeln“. Der König, von dem er nun spricht, ist die einzige Person, in der sich die Hoffnungen der Tochter Zions erfüllen können.

Handelt es sich bei Vers 9 um bereits erfüllte Prophetie? Inwiefern sind die Voraussagen dieses Verses erfüllt worden? Einerseits berichten alle vier Evangelien davon, dass Christus auf einem Esel nach Jerusalem einzog und die Volksmenge Ihm zujubelte als dem, der im Namen des Herrn zu ihnen kam (vgl. Ps 118,26). Zwei Evangelisten zitieren dabei Sacharja 9, Vers 9.

Die folgende Auflistung zeigt die Berichte der vier Evangelisten und die zwei Zitate von Vers 9.

Matthäus 21,3-5 
Und wenn jemand etwas zu euch sagt, so sollt ihr sprechen: Der Herr benötigt sie, und sogleich wird er sie senden. Dies aber ist geschehen, damit erfüllt würde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht:
„Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und auf einer Eselin reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen des Lasttiers“.

Markus 11,7-11
Und sie bringen das Fohlen zu Jesus und legen ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf den Weg aus, … und die Vorangehenden und die Nachfolgenden riefen: Hosanna!
Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei das kommende Reich unseres Vaters David! Hosanna in der Höhe! Und er zog in Jerusalem ein, in den Tempel …

Lukas 19,35-39
Und sie führten es zu Jesus; und sie warfen ihre Kleider auf das Fohlen und ließen Jesus darauf sitzen. Während er aber hinzog, breiteten sie ihre Kleider auf dem Weg aus. Als er sich aber schon dem Abhang des Ölbergs näherte, fing die ganze Menge der Jünger an, mit lauter Stimme freudig Gott zu loben …, indem sie sagten: Gepriesen sei der König, der da kommt im Namen des Herrn! Friede im Himmel und Herrlichkeit in der Höhe! 

Johannes 12,12-15
Am folgenden Tag, als eine große Volksmenge, die zu dem Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem komme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus, ihm entgegen, und riefen: Hosanna! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels! Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: „Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt, sitzend auf einem Eselsfohlen“.

Bei den beiden Zitaten fällt auf:

  • Matthäus leitet sein Zitat sogar mit den Worten ein: „Dies aber ist geschehen, damit erfüllt würde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht“ (Mt 21,4).
  • Johannes weist ebenfalls auf eine Erfüllung hin, indem er sagt: „Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht“ (Joh 12,14).

Insofern bestätigt das Neue Testament, dass wir es hier mit erfüllter Prophetie zu tun haben. Allerdings macht man bei genauerem Hinsehen interessante Feststellungen:

  • Die Evangelisten zitieren jeweils nur einen Teil der Verheißung, lassen aber bestimmte Aspekte aus.
  • An einigen Stellen wird der Wortlaut der zitierten Zusage abgeändert.

Der Grund ist offensichtlich. Einerseits erfüllten sich Voraussagen aus Vers 9, als der Herr Jesus auf einem Esel reitend in Jerusalem einzog. In diesem Sinn war es eine Erfüllung. Andererseits sind einige der Zusagen aus Vers 9 (und auch aus den Versen 10-12) bis heute unerfüllt geblieben. Wer Gott glaubt, kann nur den Schluss ziehen, dass diese sich noch erfüllen müssen. Das wird geschehen, wenn Christus in Macht und Herrlichkeit erscheint.

Ein Vergleich unseres Verses mit den beiden Zitaten im Neuen Testament zeigt schnell, welche Teile der Prophezeiung bereits erfüllt sind.

„Frohlocke laut, …, jauchze“

Diese Aufforderungen werden in beiden Zitaten weggelassen. Matthäus benutzt stattdessen das Wort „sagt“, und Johannes schreibt: „Fürchte dich nicht“. Der König war da, aber die Zeit zum Jubeln war noch nicht gekommen.

„Tochter Zion“

Die Tochter Zion (vgl. Sach 2,14) wird in beiden Zitaten erwähnt. Dieser Ausdruck bezeichnet das in Gnade auserwählte Volk Gottes, denn Zion steht für die Gnade:

  • Zion ist die Stadt Davids (2. Sam 5,7) und damit der Ort souveräner Gnade, denn Gott war eingeschritten und hatte Israel – nachdem Saul völlig versagt hatte – einen neuen König gegeben, den Mann nach seinem Herzen.
  • Zion war von Gott als Wohnort ausgesucht worden, ebenfalls in souveräner Gnade: „Denn der HERR hat Zion erwählt, hat es begehrt zu seiner Wohnstätte“ (Ps 132,13).
  • Zion wird der Sitz der Friedensherrschaft Christi als wahrer Salomo sein (Ps 2,6; 48,2.3; Jes 24,23).

Die Menschen, die damals Christus bei seinem Einzug in Jerusalem zujubelten, haben diese Friedensherrschaft nicht erlebt – sie steht immer noch aus. Ihr geistlicher Zustand ließ es nicht zu, und das Erlösungswerk, das eine Verbindung mit dem Messias erst möglich macht, war noch nicht vollbracht. Dennoch waren sie die Repräsentanten des Volks, das Gott in Gnade auserwählt hatte. In diesem Sinn war Christus – wie sowohl Matthäus als auch Johannes erwähnen – zu der „Tochter Zions“ gekommen.

„Siehe, dein König wird zu dir kommen“

Mit einem „Siehe“ lenkt Sacharja die Aufmerksamkeit auf den kommenden Messias, und zwar als König (vgl. die Ausführungen zum „Siehe“ in Sach 3,8; 6,6). Dabei nennt er Ihn nicht einfach „den“ König sondern „deinen“ König. Es ist nicht irgendein großer Herrscher, sondern der aus den Propheten bekannte, seit Langem erwartete und ihnen verheißene König. Nun war Er tatsächlich zu ihnen gekommen, demütig und auf einem Esel reitend – genau wie Sacharja es vorhergesagt hatte. Das nimmt nichts davon weg, dass derselbe Christus noch einmal kommen wird. Erst dann wird Er den Thron Davids einnehmen, um in Gerechtigkeit und Frieden zu regieren (Lk 2,32.33; Jes 9,6.7).

„Gerecht und ein Retter ist er“

Keiner der Evangelisten erwähnt an dieser Stelle das Wort „gerecht“. Sowohl Matthäus als auch Johannes lassen es aus – und sicher nicht ohne Grund. Natürlich war Christus gerecht, Er war der „Heilige und Gerechte“ (Apg 3,14). Aber damals zog Er in Gnade in Jerusalem ein, und nicht, um in Gerechtigkeit mit seinem Volk zu handeln, sonst hätte Er sie bestrafen müssen. Ganz anders wird es sein, wenn Er in seinem Reich kommt. Die Grundlage seines Reiches wird Gerechtigkeit sein (Ps 72,7) und es wird durch Gericht eingeführt werden (Jes 26,9; Dan 2,44.45).

Was uns erstaunen könnte, ist, dass das Wort „Retter“ (oder „Heiland“) ebenfalls ausgelassen wird. War Er nicht als Heiland gekommen, um Sünder zu retten (1. Tim 1,15)? Sicherlich! Aber hier geht es nicht so sehr um das Heil einzelner Seelen, sondern um die nationale Errettung des Volkes, die Befreiung von den Feinden (siehe Lk 1,67-75; 2,29-33). Die Zeit für diese nationale Errettung war noch nicht gekommen.

„Demütig“

An dieser Stelle müssen Sacharjas Zuhörer sich gewundert haben. Dass der kommende Messias gerecht handeln und herrschen würde, war ihnen bekannt (Jes 32,1). Dass Er als Retter ihrer Nation kommen würde, war ihre große Hoffnung. Aber gerade dazu würde Er ja ihre Feinde besiegen müssen. Dazu war vor allem eins erforderlich: Macht!

Stattdessen beschreibt Sacharja Ihn als „demütig“. Das hebräische Wort wird auch mit „elend“, „gebeugt“ oder „arm“ übersetzt. Diese Eigenschaften verbinden wir nicht mit dem Anforderungsprofil eines Herrschers. Aber der Kommende würde so ganz anders sein als die Monarchen der Welt!

Demut bezeichnet den Charakter des Herrn Jesus. Er war sanftmütig und von Herzen demütig (Mt 11,29). Der Schöpfer des Universums kam als demütiger Mensch (Kol 1,16.17; Phil 2,5-8). Und Er bleibt es. Jetzt ist Er erhöht, höher als die Himmel geworden, aber seine Demut ist ein Charakterzug, der Ihm eigen ist und Ihn bleibend auszeichnet.

Matthäus ändert das Zitat an dieser Stelle auf „sanftmütig“ ab. So steht es auch in der Septuaginta. Beide Eigenschaften treffen auf Christus zu. Als Er sich Jerusalem näherte, war in seinem Herzen vollkommene Demut – und die Art und Weise, wie Er es tat, zeugte von großer Sanftmut.

Johannes erwähnt die Demut hier nicht. Sein Thema ist die Herrlichkeit des Sohnes Gottes. Aber er erwähnt doch, wie Er kommen würde: „sitzend auf einem Eselsfohlen“.

„Auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen der Eselin“

Pferde und Wagen wären geeignet gewesen, militärische Stärke und königliches Prestige zu signalisieren (2. Mo 14,9; Ri 5,22; Ps 20,8; 147,10; Hos 1,7). Als Absalom König werden wollte, schaffte er sich Pferde und Wagen an (2. Sam 15,1). Esel dagegen waren nicht viel wert (4. Mo 16,15). Sie dienten in der Hauptsache dazu, Lasten zu transportieren (2. Mo 23,5). Matthäus erwähnt diesen Umstand ausdrücklich: „auf einem Fohlen, einem Jungen des Lasttiers“ (Mt 21,5b).

Man liest, dass die Söhne der Richter auf Eseln ritten (Ri 10,4; 12,14), aber niemals Könige oder hochgestellte Personen. Es war daher mehr als ungewöhnlich, dass ein König sich so seinen Untertanen präsentierte. Aber genau so kam Er: auf dem Fohlen einer Eselin. Matthäus zeigt, dass sowohl die Eselin als auch das Fohlen zu Christus gebracht wurden. Beide Tiere werden von Sacharja erwähnt. Die Prophezeiung wurde genauestens erfüllt. Dabei ist interessant, dass die Jünger sich dessen gar nicht bewusst waren. Sie verstanden es erst später: „Dies verstanden seine Jünger zuerst nicht; jedoch als Jesus verherrlicht war, da erinnerten sie sich daran, dass dies von ihm geschrieben war und sie ihm dies getan hatten“ (Joh 12,16). Diese Erfüllung war also nicht von ihnen inszeniert worden.

Nicht die endgültige Erfüllung

Einerseits war also Sacharja 9, 9 erfüllt worden – sowie auch die Zusage aus Psalm 118: „Gesegnet sei, der da kommt im Namen des HERRN!“ (V. 26). Aber den Rufen der Begeisterung folgte bald das „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn!“ (Joh 19,15). Das zeigt schon, dass der jubelnde Empfang mehr mit einer oberflächlichen Gefühlsregung zu tun hatte als mit einer echten Annahme des Messias. Die Ablehnung war nachhaltig. Der Herr selbst hatte darauf hingewiesen: „Seine Bürger aber hassten ihn und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“ (Lk 19,14). In Apostelgeschichte 3 bis 7 kann man nachlesen, wie sich diese Aussage erfüllt hat.

Ein weiterer Umstand macht diese Tatsache noch deutlicher. Nicht lange nach seinem Einzug in Jerusalem musste der Herr ausrufen: „Euer Haus wird euch öde gelassen; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: ‚Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!‘“ (Mt 23,37-39). Es wird also ein Augenblick kommen, wo diese Worte noch einmal ausgesprochen werden, und zwar, wenn Christus in Macht und Herrlichkeit erschienen ist, um als „König der Herrlichkeit“ in Jerusalem einzuziehen (Ps 24).

Diese Tatsache beantwortet auch die Frage von Rabbi Joshua ben Levi:

„AN EINER STELLE STEHT GESCHRIEBEN: ‚ SIEHE, MIT DEN WOLKEN DES HIMMELS KAM EINER WIE EINES MENSCHEN SOHN‘ UND AN EINER ANDEREN STELLE STEHT: ‚ER KOMMT DEMÜTIG, AUF EINEM ESEL REITEND‘. WIE IST DAS ZU VERSTEHEN?“
Rabbi Joshua ben Levi

Die Ablehnung war nachhaltig. Der Herr selbst hatte darauf hingewiesen:

Das Problem löst sich, sobald man versteht, dass der Einzug des Herrn in Jerusalem eine teilweise Erfüllung war und dass der Rest dieses inhaltsreichen Verses und auch die Prophezeiung aus Daniel 7,13 – und viele andere – erfüllt werden, wenn Er in Herrlichkeit erscheint.

Zusammenfassung:

Die Sichtweise der Propheten wird oft mithilfe von zwei Bergspitzen veranschaulicht. Der Prophet sieht die Gipfel zweier aus seiner Sicht hintereinanderliegender Berge, nicht aber das dazwischenliegende Tal. Die erste Bergspitze ist das Kommen Christi in Gnade vor gut 2000 Jahren. Die zweite Bergspitze ist die Erscheinung Christi in Macht und Herrlichkeit. Dazwischen liegen die Zeit der Gnade, das Geheimnis, das ja im Alten Testament nicht offenbart war, und die Entrückung.

Einige der Zusagen in Sacharja 9,9 beziehen sich auf die erste und die anderen auf die zweite Bergspitze. Das wird in untenstehender Abbildung veranschaulicht.

 

Dabei ist zu beachten, dass einige Aspekte, die unter der Bergspitze „1. Kommen“ aufgeführt sind, ebenfalls auf die Erscheinung zutreffen (z. B. „Tochter Zion“ und „König“). Aber die unter der zweiten Bergspitze aufgeführten Punkte treffen ausschließlich auf die Erscheinung zu.

Michael Hardt

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2020, Heft 7, Seite 18

Bibelstellen: Sacharja 9; Matthäus 21,3-5; Markus 11,7-11; Lukas 19,35-39; Johannes 12,12-15; u. a.;

Stichwörter: Demut, Esel, Gerechtigkeit, Retter, Tochter Zion